Onlinewerbung der dritten Generation

Von Peter Littmann

Wer früher als Experte in Stilfragen auffallen wollte, brauchte nicht unbedingt Geschmack, aber Zeit und Geld. Mann benötigte eine gut gebaute Freundin als Kleiderständer und ein bisschen Kleingeld, um sie mit den angesagten Klamotten, Pelzen und Halsketten zu behängen. Dazu einen hammergeilen Schlitten, um damit bei Sansibar auf Sylt vorzufahren, bis einen auch ja tout Düsseldorf gesehen hatte.


Heute jedoch kann sich auch jede verarmte Vorstadtbiene zur Stilikone mausern, denn zum Glück gibt's ja das Internet. Alle, die ihren Ruf als Conaisseur pflegen und eine Fangemeinde versammeln wollen, tun das ganz einfach online.

Auf Iliketotallyloveit.com kann jeder selbst ernannte Modeexperte Produkte, die er cool, nützlich, innovativ oder einfach nur schön findet, ins Netz stellen, um sie anderen Nutzern zu zeigen. Alle sind aufgefordert, die Beiträge aller zu bewerten - wer mit seinen Fundstücken die größte Zustimmung bekommt, landet vorne auf der Seite und darf sich als Stilguru fühlen. Ganz im Sinne des namensgebenden Satzes der atemlos shoppenden Paris Hilton "I like totally love it!".

Über Grammatik denken wir lieber nicht nach, wohl aber über Geschäftslogik: Bei jedem Ding steht ein Link zu einem Onlineladen, in dem die shoppende Gemeinde das Produkt bestellen kann. Die Presse jubelt über den Webauftritt made in Bremen: "Seiten wie diese, die von den Erfahrungen anderer Leute profitieren, sind eine heftige Mischung aus Unterhaltung, Voyeurismus und Exhibitionismus und ziehen in aller Stille Millionen an." Leute und Euro, versteht sich.

Der Fachbegriff dazu heißt Social Shopping. Manche nennen das Phänomen schon Web 3.0, weil sich die Wikis und Blogs der Vergangenheit nun um konkrete Leidenschaften herum formieren und sich vertikale soziale Netzwerke um Inhalte ranken. Etwas weniger bombastisch könnte man auch sagen: Das Netz fängt an, sich nur noch mit sich selber zu beschäftigen. Virtuelle Gestalten jagen nach Novitäten, die in virtuellen Shops erhältlich sind und eine virtuelle Gemeinde bewertet, wer im Netz das durchgeknallteste Fashion-Victim ist.

Ein schönes Beispiel für die Eigenweltlichkeit dieser Entwicklung ist das Top-Produkt auf Iliketotallyloveit.com zum Zeitpunkt des Entstehens dieser Kolumne: ein Acrylgemälde von einem "Captcha", also eines "Completely Automated Public Turing Test to tell Computers and Humans Apart". Das sind Buchstaben- und Zahlenfolgen, die ein Nutzer eingeben muss, wenn Internetfirmen wissen wollen, ob tatsächlich ein Mensch vor dem Schirm sitzt oder eine Maschine, die nur Spam verursachen will. Das Werk kann man sich dann zu Hause über den Computer hängen, damit es einen an den eigenen individuell-humanoiden Charakter erinnert.

Die Onlineforen für Konsumsüchtige, Sammler und Liebhaber von technischem Fummel sind eine internationale Bewegung: Im Vereinigten Königreich gibt es mit Osoyou.com eine Art Facebook für Modefreaks mit Artikeln wie dem über die Beckham-Gattin: "Has Victoria's Shopping Habit Gone Too Far?" Eine Antwort kriegt der Leser nicht, wohl aber Tipps, wo er die Lieblingsplütten der Dame billiger kriegt. Auf der US-Site Thisnext.com kann man sich entweder angucken, was einzelne Leute empfehlen oder aber, was in Trendstädten von Buenos Aires bis Sydney gerade massenhaft gekauft wird.

Stimmen die Prognosen, werden 2020 rund 40 Prozent aller Käufe über das Netz abgewickelt. Gleichzeitig sinkt laut Umfragen in vielen Märkten die Glaubwürdigkeit von Werbung. Offenbar vertrauen immer mehr Konsumenten eher der Empfehlung einer unbekannten Privatperson im Internet als einer Modezeitschrift oder gar einem Hersteller. Das Ergebnis ist Social Shopping, oder Me-tail, eine Wortschöpfung aus Medien und Retail.

Im nächsten Schritt müssen nun die Luxus-, Mode- und Design-Hersteller Online-Profishopper bezahlen, damit die ihre Produkte dann als vermeintliche Trouvaille auf den entsprechenden Seiten positionieren und beim Bewerten der Postings anderer dafür sorgen, dass die gewünschten Produkte nach oben wandern.

Die Ironie der Geschichte wird sein, dass der Massenmarkt so seinen Weg zu den Social-Shopping-Sites finden wird, während die Community noch glaubt, so "persönlich" beraten zu werden wie nie zuvor. Das nennen wir dann Werbung 3.0 und freuen uns auf Sylt, um zu gucken, ob noch irgendwer tatsächlich so was Ähnliches wie individuellen Stil verbreitet.

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