Nieder mit... ja mit was eigentlich?
Wenn ein Bier-Plakat aus Bayern ein Dirndl-Dekolletee als „Löwengrube“ tituliert, hat es offenbar nur allzu recht. Denn angeblich steht uns eine neue Form des Feminismus ins Haus, stört sich doch die nächste Generation der Frauenbewegung angelsächsischen Medien zufolge an der „raunchy culture“, also an der Sexualisierung der Gesellschaft, vom Wonderbra bis hin zu Stramplern für drei Monate alte Jungs mit der Aufschrift: „Ich bin ein Titten-Mann“.
An den losen, die Kinder verderbenden Sitten schuld sind aus Sicht der frauenbewegten Mütter die Popkultur und natürlich auch ihr unerzogener Bastard, die Werbung. Gemeint sind beispielsweise die Internet-Auftritte des Wäsche-Labels Victoria's Secret, die ziemlich nackten Diesel-Jeans-Bilder, die Motive der Kampagne für Diors Parfum J'adore oder der Clip, in dem eine Schönheit zu dem Song „Weil es Liebe ist“ einem Porsche Carrera ihren BH samt Inhalt zeigt – dem sich daraufhin der Windspoiler aufstellt.
Die Liberalisierung der 60er und 70er Jahre habe uns inzwischen in eine Gesellschaft mit „den Werten der Sex-Industrie“ verwandelt, beklagen Jugendschützer. Die Befreiung der weiblichen Sexualität werde skandalös von kommerziellen Interessen ausgenutzt, sagen die Feministen. Und alle zitieren kanadische Studien, denen zufolge die Mehrheit der 13- und 14jährigen online bereits Sexvideos gesehen hat. Die britische Autorin Natasha Walter schreibt, dass die Hypersexualisierung der Welt eine „übertriebene Femininität“ fördere, die sie an die von Porno-Stars erinnere, während gleichzeitig das optisch erwünschte Ideal für junge Frauen immer schmaler und enger werde.
Klar gibt es Aspekte der Popkultur, die so geschmackvoll sind wie Würstchen mit Vanillesoße und widerliche Werbekampagnen, in denen sich zu Vamps hoch getakelte kleine Mädchen räkeln. Dennoch fällt es schwer, sich mit der jüngsten Version der „Nein-zu-Porno“-Bewegung anzufreunden, wird der Kinderschutz doch von konservativen Kreisen allzu häufig als trojanisches Pferd gegen alle möglichen anderen Freiheiten genutzt: Als Argument gegen Rapper-Lyrik beispielsweise, gegen Sexualerziehung in der Schule und nabelfreie Tanktops.
Wieso wird Meissner Porzellan von einer jungen Frau im offenherzigen Bademantel beworben? Vermutlich, weil es eh nur noch Rentnerherzen höher schlagen lässt. Brauchen wir wirklich Kampagnen für Produkte gegen erektile Dysfunktion? Muss die Kamera einer Schauspielerin, die für Hustenmittel wirbt, unter den Rock gucken? Nein. Und zerstören solche Bilder tatsächlich das Selbstwertgefühl junger Mädchen? Noch mal nein. Es fühlen sich vielmehr einfach nur ein paar Biedermänner in ihrer mühsam vor Erregung geschützten Komfortzone gestört.
Klar ist es fragwürdig, Make-up für Sechsjährige zu bewerben und es bleibt offen, ob T-Shirts mit der Aufschrift „Bitch“ oder „FCUK“ für 15Jährige wirklich Charakter bildend wirken. Aber was sollten rebellische Teenager denn sonst tragen, um ihre Parentes zu nerven: Deichmann-Schuhe mit dicker Sohle und ein T-Shirt mit dem Slogan „Nieder mit den Rocksäumen“?
Natürlich sinkt dem Töchter-Vater die Schwelle stündlich, bei der er am liebsten das Fernsehen verbieten würde. Schließlich ist ihm via Technologie wie vielen Eltern die Kontrolle darüber längst entglitten, was die Kinder zu sehen und zu hören kriegen. Wer die wieder haben will, muss in die heile Welt von China umziehen – da werden Google & Co bekanntlich zensiert. Viel eher als die Kinderfreundlichkeit von unbedeckten Körperteilen in der Werbung sollten wir diskutieren, wieso sich konservative Kreise über Werbung mit nackter Haut aufregen, während es bei ihnen geradezu als „politische Bildung“ durchgeht, dass den Kids im TV ständig Bilder von nackter Gewalt präsentiert werden.
Wird das Geld knapp, gibt's Moral satt. Traditionell werden in jeder Wirtschaftskrise die Röcke länger und die Haare kürzer. Die jüngste Krise beschert uns eben wieder mal eine Moraldebatte und dazu kniefällige Werbungstreibende, die einen Top-Sportler drei Monate lang aus der Werbung kippen, weil er die Gattin betrog. Was derartige Heuchelei mit Kinderschutz und weiblichem Selbstwertgefühl zu tun haben soll, bleibt allerdings ebenso uneinsichtig wie die Löwengruben in Bayern.