Dschungelbuch um den Hals
Einen Mann darf man sich vorstellen wie ein Bürohochhaus in der Innenstadt. In den oberen Etagen sitzt, was die Geschäftsführung für das steuernde Element der Unternehmung hält, doch tatsächlich redet das mittlere Management, also die Körpermitte, häufig gewaltig mit – nicht immer zum Wohle der Gesamtveranstaltung.
Die wiederum wird in ihrer emotionalen und intellektuellen Ganzheit repräsentiert durch das Markenlogo an der Gebäudefront... und so wie Hochhäuser oft gigantische Leuchtreklamen tragen, trägt ein Mann eben seine Krawatte. Zeig mir dein Outfit und ich sag dir, wer du bist.
Doch im Gegensatz zum Firmenlogo, bei dem der Wiedererkennungswert alles ist, ist ein Herr nur dann gut gekleidet, wenn du fünf Minuten, nachdem er den Raum verlassen hat, nicht mehr weißt, was er trug. Diese tradierte Maxime mag 150 Jahre alt und überdies langweilig sein, hat bei genauerer Betrachtung aber was für sich. Männer in roséfarbenen oder lindgrünen Anzügen outen sich in unseren Kulturkreisen nämlich nachhaltig als farbenblind oder Aufsichtspersonal von Bordsteinschwalben. Shorts plus Kniestrümpfe sind ausschließlich für Polizisten auf Karibikinseln erlaubt, überall sonst sollte ein Herr kurze Hosen plus Socken vermeiden, ebenso wie Sandalen mit Strümpfen.
Das gleiche gilt für Motivkrawatten. Wer nimmt schon einen Geschäftsmann ernst, auf dessen Schlips lauter kleine Pinguine, Eichhörnchen oder Mickymäuse tanzen? Eben. Und deswegen ging unlängst ein Automanager vor Gericht, um die Presse zu bewegen, künftig von der Behauptung Abstand zu nehmen, er trage „grelle Krawatten”. Den strittigen Binder zierten Trage-Elefanten.
All dem zum Trotz hängt sich unser Verteidigungsminister gerne mal einen Schlips um mit Bärchen- oder Äffchenmotiv. Als er seinerzeit noch um Opels Zukunft verhandelte, zierten winzige Karnickel seinen Hals. Hasenfüßigkeit wurde ihm trotz Verhandlungsschlappen nicht attestiert, stattdessen wurde er laut ZDF-Politbarometer zum beliebtesten – und von einer Fachjury auch noch zum best gekleideten Politiker Deutschlands gekürt.
Das findet auch das Designerteam von Hermès: Zwei Drittel der Krawatten, die das ansonsten noble Modehaus jede Saison auf den Markt wirft, zieren animalische Muster. Hermès entgegnet auf den Kommentar, Motivkrawatten seien höllisch geschmacklos, dass die Leute heutzutage Krawatten eher zum Vergnügen als aus Verpflichtung tragen und daher auch persönliche und expressive Muster wählen.“ Expressiv ist ein Elefantenmotiv in der Tat. Aber im Büro? Ein Schelm, wer gleich den Porzellanladen mitdenkt.
Binder sind eben die einzige farbenfrohe persönliche Marketingmaßnahme des Mannes und können von daher auch Ähnlichkeit mit einem Galgenstrick entwickeln. Der spanische Wirtschaftsminister Miguel Sebastián jedenfalls scheint sich von der täglichen Wahl eines tragbaren Statements überfordert zu fühlen und geht daher lieber gleich oben ohne. Das wiederum enerviert seinen Parlamentspräsidenten José Bono derart, dass er Sebastián über einen Saaldiener einen mit kleinen Löwen bedruckten Schlips zukommen ließ. Sebastián weigerte sich, auch diese Krawatte umzubinden, und schickte Bono ein Thermometer zurück. Erstens, damit der sein spanisches Heißblut künftig besser kühle und zweitens als Anspielung auf die hohen Temperaturen in Madrid.
Andere sind mutiger und präsentieren ihre Krawatte wie eine Flagge. Bill Clinton beispielsweise verabschiedete sich als Ex-US-Präsident von seinen im Weiße Haus getragenen neutralen, Business-orientierten Outfits und wird neuerdings immer wieder mit einem dicken Windsor-Knoten gesehen. Seither treten auch immer mehr CNN-, BBC- und Fox-TV-Reporter mit einem dominanten Knubbel unterm Kinn vor die Kamera. Sogar Fußballer wie Oliver Kahn und David Beckham sieht man neuerdings immer mal wieder mit prächtig gebundenen Krawatten.
Dschungelbuch um den Hals und Knotenstärke hin oder her, am Ende gilt: Die um den Nacken gehängte Botschaft darf vom Wesentlichen nicht ablenken – und das ist der Mann und seine Aufgabe. Womit wir wieder bei der Firmenzentrale mit Logo vorne drauf wären: Auch da ist Form ohne Inhalt nur Chi-Chi. Produkte, Services, Charakter, Mission, Logo und Marken eines Unternehmens müssen glaubwürdig aus einem Guss sein. Andernfalls sind sie einfach nur wie Krawatten – austauschbar bis blamabel.