Luxusscham oder Ethik des Verzichts?

Von Peter Littmann

“Anonym zu sein und keine Meinung zu haben, entwickelt sich gerade zum Luxus. In einer immer schneller tickenden, immer stärker vernetzten Welt wird es hoch geschätzt, unter dem Radar zu bleiben.“ Das sagt Chris Sanderson von The Future Laboratory, einer britischen Trendberatung für Luxusfirmen, die unter anderem für American Express, Louis Vuitton, Lamborghini und Burberry arbeitet.

Für Sanderson ist „considered consumption“ das Thema der Saison - nachdenklichen Konsum. „An dem einen Ende überdenken selbst diejenigen ihr Ausgabenverhalten, die in der Finanzkrise keine Federn gelassen haben und an dem anderen Ende sollten wir uns auf Aggression einstellen. Eine zunehmend laute und aktive Minderheit ist entschlossen, zerstörerischen und verschwenderischen Konsumpraktiken einen Riegel vorzuschieben.“
Recht hat er, die gerade abgelaufene Boni-Saison für Banker war von lauten Empörungsgesten im Publikum geprägt. Und zwar nicht nur in traditionell vom Neidkomplex beherrschten Ländern Schweiz und Deutschland, sondern auch in USA, wo das demonstrative Verjuxen auch sechsstelliger Tantiemen noch 2008 als Milch der rechten Denkungsart galt.
Fragt sich nur, ob die neue Ethik des Verzichts nur der Krise geschuldet ist und bald wieder vorbei geht oder ob die üblichen Big Spender wirklich nachhaltig umdenken? Sanderson jedenfalls sieht Luxus schon gar nicht mehr als Ware: Aus seiner Sicht, ist es das Größte, Geld zu benutzen, um Dienstleistungen nach Maß und im nötigen Tempo passieren zu lassen – beispielsweise ein Wasserflugzeug zu chartern, damit der Urlaub im indonesischen Luxusressort Amanwana 24 Stunden länger anhält.
So uneinheitlich wie die Definitionen, was Luxus heute eigentlich ist, sind auch die Zahlen: Laut der Bain-Studie „Luxury Goods Worldwide Market“ laufen klassische Luxusartikel in reifen Märkten weiterhin schwach: Umsatzrückgänge von 16 Prozent in Amerika, zehn Prozent in Japan und acht Prozent in Europa. Einzig in Asien ist Bling immer noch angesagt und macht ein Plus von zehn Prozent.
Die Berater scheinen jedoch nicht an den langfristigen Konsumverzicht der oberen Zehntausend im Westen zu glauben, schon für 2011 rechnen sie mit einer Erholung. Was sich ihrer Meinung nach dennoch länger hält, als die krisenbedingte Umsatzdelle, ist die „Luxusscham“: Gefragt seien heute „dezente Designs, dafür aber hochwertige Verarbeitung und edle Materialien, deren Wert nur für 'Insider' zu erkennen ist.“ Das ist auf Produktseite genau das, was Sanderson mit „unter dem Radar“ meint. Im Klartext: Nur noch Plebs läuft mit Sonnenbrillen herum, auf denen übergroß ein „D&G“ prangt oder mit Handtaschen, die das fette Doppel-C von Chanel ziert. Wer wirklich was auf der Naht hat, will mit so was nicht auffallen.
Was fangen nun die Hersteller an mit der Gemengelage? Die einzige Region, die derzeit wächst, ist Asien und da kann es nicht laut, teuer und protzig genug sein. Der Osten steht aber nur für rund 27 Prozent des Marktes von 153 Milliarden Euro. Der Rest der Welt konsumiert Luxusgüter lieber verdeckt und legt auf laut trommelnde Marken zunehmend wenig Wert. Müssen jetzt also zwei Linien her jede Saison? Eine schreiend Neureiche für Asien und eine Leisetreterische für den Westen? Zwei Werbekampagnen? Eine, die für Neo-Asketen mit Geld die intrinsischen Werte eines Kiton Mantels aus Vikuna-Wolle erläutert - und eine zweite für die Freunde des Statussymbols, die auf dem Preis des guten Stücks vulgär herumreitet? Was würde so eine Schizophrenie für die Marken bedeuten? Wie würde der internationale Jet-Set damit umgehen, der sich oszillierend in beiden Welten aufhält und einen bipolaren Auftritt schnell durchschaut?
Die Fabrikanten des Edlen und Feinen werden sich entscheiden müssen. Viele Designermarken setzen ja auch schon auf die statusverrückten Schwellenländer: Die weltweit geplanten, 300 in Eigenregie der Hersteller geführten Läden eröffnen zu 70 Prozent in Asien und Nahost und zu 15 Prozent in Osteuropa sowie Zentralasien. Doch wer in den gehobenen Kreisen des Westens weiterhin reüssieren will, wird künftig eher leise als Manufaktur-Marke von höchster Handwerkskunst auftreten müssen. Zur Frage: „Was ist das eigentlich: Luxus?“ keine Meinung zu haben, ist jedenfalls ein Luxus, den sich Luxushersteller nicht mehr leisten können.

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