Von der Bettenburg zum Lifestyle-Hotel
Schon mal im „La Maison” gewohnt? Klingt nach Boutique-Hotel zu akzeptablen Preisen. Doch schon beim Einchecken steht fest: Wieder mal einer Marketinglüge aufgesessen. Ein veritables Boutique-Hotel ist das gastronomische Pendant zum Bauernmarkt: Persönlich geführt, authentisch im Angebot mit starker Verbindung zu regionalen Produkten – bloß das Dekor ist in der Regel nicht so rustikal wie ein Bio-Marmelade-Stand. „La Maison” jedoch sieht bloß auf der eigenen Page im Internet gut aus, im wirklichen Leben hat es leider den Charme eines runter gekommenen Holiday Inn. Insgesamt sind Etablissements wie dieses der Beweis, dass „Inhaber geführt” nicht notwendigerweise für Leidenschaft und Engagement steht, sondern oft bloß für lustlos und unprofessionell.
Doch was ist die Alternative? Wieder Hyatt, Sheraton oder Ramada? Zurück ins Déja vu, das vom Zwielicht endloser, identischer Hotelflure ausgelöst wird? Viele Leute machen lieber Experimente, als ständig diese Wiedergänger-Buden zu erleben, die immer gleich daherkommen, egal ob sie in Frankfurt stehen oder Houston, Texas. Auch auf die Gefahr hin, dass sie gelegentlich mal dank einem „La Casa” in der Hundehütte übernachten oder mit dem „Hotel Bulgari” nicht im Glitzer, sondern im post-sozialistischen Charme landen.
Die Chefs der Hotelketten beobachten den Trend zur Individualität in vielen Gastsegmenten schon länger und mit Unbehagen. Ihre Gegenstrategien sind vielfältig und nicht alle gleichermaßen von Erfolg gekrönt. So ist in den vergangenen Jahren die Zahl der Hotelmarken explodiert. Besonders die größeren Anbieter produzieren neue Labels, wann immer sie eine Laune überkommt, vermutlich aus der vagen Idee heraus, dass man mit vielen Ködern auch viele Fische fängt.
Nehmen wir exemplarisch das Marriott: Der Konzern führt nicht nur Hotels unter diesem Namen, sondern auch: JW, Ritz-Carlton, Renaissance Hotels, Courtyard, Residence Inn, Fairfield Inn, SpringHill, TownePlace Suites, Horizons, ExecuStay und noch ein paar mehr. Sich zu merken, was davon nun als Luxus, Premium, Budget oder Executive Stay über den Tresen geht, überfordert selbst den Vielreisenden. Auch bei anderen Gastro-Konzernen haben sich die Marken vermehrt wie anderswo die Zahnpastasorten und jetzt kratzen sich die Verantwortlichen ob der Frage die Köpfe, wie man eine Identität zu den Logos bastelt und diese dem geneigten Publikum vermittelt, um die neue Marken auch relevant werden zu lassen.
Eine andere Methode, Kunden an der Kette zu halten, sind Loyalty Programme, bei denen Gäste mit jeder Übernachtung Punkte sammeln, um diese irgendwann in Gratiszimmer umzuwandeln. Doch diese Fliegenfänger-Ansätze sind kein Ersatz für das Qualitätserlebnis, das angestrengte Wanderer zwischen den Welten heute erwarten. Insbesondere jüngere Konsumenten sind abgebrüht genug, trotz „smiles & more Card” den Anbieter zu wechseln, sobald eine Bettenburg ihr Markenversprechen nicht hält.
Erfolgreicher sind da schon die Concierge oder Executive Floor Angebote der großen Gruppen. Für einen Aufpreis von derzeit rund 20 Prozent auf den eigentlichen Zimmerpreis kaufen sich insbesondere Gäste nicht nur dickere Matratzen auf eigens definierten Etagen, sondern auch Zugang zu entsprechenden Lounges. Da stehen den ganzen Tag nicht nur Snacks und Cocktails bereit, sondern auch ein Sortiment an Büchern und Presse, Flachbildschirme und oft auch kleine Konferenzräume. Dieses Angebot erweist sich besonders bei weiblichen Geschäftsreisenden als Hit, denn die Damen wollen weder den ganzen Abend im Zimmer hocken, noch wie ein Bordsteinschwalberl in der allgemein zugänglichen Bar herum flattern.
Derweil sind auch die Boutiquen-Betreiber nicht müde und kommen mit dem nächsten Trend: den Lifestyle Hotels. Das One Aldwych in London hat sich beispielsweise ein Kino mit 30 Sitzen zugelegt, wo der Gast für 38,50 Pfund einen Film, ein Drei-Gänge-Menu und ein Glas Champagner kriegt. Im Maison Troisgros in Frankreich können Gäste in der Michelin-Star-Küche kochen, das Montana Art Deco Hotel in Schweiz inszeniert ganze Theaterstücke für seine Gäste. Andere veranstalten Bridge-Kurse oder Dichterlesungen und vermieten den Spa für nächtliche Privatparties. Erlebnis ist auch beim Schlafen Trumpf – und am Ende ist eine gelegentliche Pleite à la “La Maison” immer noch inspirierender als ein langweiliges Kettenhotel.