Geist ist schön - bringt aber nicht weiter
Mann, ist Wrestling widerlich! Geschmacklos gekleidete - oder vielmehr unbekleidete - Menschen mit grauenvollen Frisuren und Tattoos werfen ihre mit verbotenen Substanzen aufgepumpten Körper in alberne Scheingefechte. Der kultivierte Bildungsbürger zappt weiter mit Grausen.
Doch Moment mal! Setzte sein ruhiges, gepflegtes Unternehmen mit dem gediegenen Auftritt im letzten Jahr stolze 400 Mill. Dollar um? Erreichte sein Angebot wöchentlich 20 Mill. Zuschauer? Nicht? Nun ja, World Wrestling Entertainment schafft genau das, ist überdies an der Wall Street börsennotiert und hat weltweit glühende Fans, viele davon auch in Deutschland.
Als Unterhaltung mag Wrestling gewöhnungsbedürftig sein, aber das Business und seine Markenführung funktionieren: Die Verantwortlichen sprechen eine definierte Zielgruppe an, bauen mit ihr eine starke emotionale Verbindung auf, vermitteln ein Zugehörigkeitsgefühl von Community und bleiben dabei inhaltlich konsistent und dem eigenen Markenversprechen treu.
Offenbar kann man einiges lernen von den Marken, die Gallenkoliken auslösen: Sie polarisieren, das Publikum liebt oder hasst sie, gleichgültig steht ihnen jedenfalls kaum einer gegenüber. Es soll ja auch brave öffentlich-rechtliche Moderatoren geben, die gerne mal so viel Aufmerksamkeit hätten wie Oliver Pocher oder Stefan Raab, und respektable Firmen, die mit ihrer Geschmackssicherheit vor dem Konkursrichter landen.
Deutschlands unbeliebtester Werbeslogan "Geiz ist geil" jedenfalls war die erfolgreichste Kampagne der Media-Saturn-Holding bisher und half dem Unternehmen gewaltig auf die Sprünge: Im vorigen Jahr setzte es 2,6 Mrd. Euro um. Das spülte so viel Geld in die Kassen, dass der Elektrohändler im laufenden Jahr 500 Mill. Euro für Werbung ausgeben kann, mehr als jeder andere deutsche Konzern. Erfolgreiches Branding schafft Emotionen - und die machen Umsatz, auch wenn dabei nicht alles so kuschelig rüberkommt wie bei Walt Disney.
Schon wahr, die Eliten im Land der Dichter und Denker hätten gerne mehr Arte und weniger RTL 2, mehr Anne Will und weniger Reinhold Beckmann, eben ein Deutschland, das den Ring des Nibelungen sucht und nicht den Superstar. Lieber Marcel Reich-Ranicki als Elke Heidenreich, obwohl die ja immerhin jahrelang eine Privatkampagne gegen Saturn unter dem Motto von Ludwig Börne führte: "Es gibt Leute, die geizen mit dem Verstande, wie andere mit ihrem Geld."
Dabei tun erfolgreiche Slogans ja nichts anderes als die Gefühlslage aufzunehmen, die sie beim Publikum vorfinden. "Geiz ist geil" passte einfach in ein reiches Land, in dem Leute um ihren Besitzstand fürchten. Und wenn Raab oder Pocher pöbeln, sieht das Publikum in ihnen zunächst die Hofnarren: Sie werden verehrt oder verabscheut, weil sie am Ende nur nachahmen, was ihnen an Diskursqualität in den Parlamenten so geboten wird.
Emotionsmarken spiegeln die Gefühlswelten des Publikums wider. Sie verstehen, was sie auslösen und wie sie ihren Platz im Leben der Leute finden. Im Übrigen muss erst mal einer schlüssig erklären, warum es angeblich so viel höherwertig ist, auf Fußball oder Formel 1 zu stehen, als sich einen "Smack down" reinzuziehen. Weil Wrestling Hass auslöst? Wenn Fußball die Kalle Bierbauchs dieser Welt mit reiner Liebe erfüllte, könnte sich der Staat ja die Millionen Euro sparen, die der Auftrieb der Polizei rund um die Stadien jedes Wochenende kostet.
Wir müssen uns an den Gedanken gewöhnen, dass uns gerade die Marken und ihre Slogans, die wir verachten, die Meinung und Stimmung veritabler Mehrheiten im Land ins abendliche Wohnzimmer spülen. Geist und gediegene Grammatik wären geil, finden aber in weiten Teilen nicht mehr statt.
Und so wirbt Saturn nun also mit "Wir lieben Technik. Wir hassen teuer." Das ist ästhetisch und semantisch ähnlicher Quatsch wie die alte Geil-Nummer. Aber daran wird die neue Zeile nicht scheitern. Vielmehr wird sie wahrscheinlich floppen, weil sie zu unentschlossen ist. Denn wer auf die niederen Instinkte setzt, der muss es schon krachen lassen: Die Knochen beim Wrestling, die Karossen beim Autorennen, die Preise beim Einkaufen - und die Nerven der Kulturkritiker.