Des Kaisers neue Kleider kommen aus Turin
Die Knutschkugel ist wieder da und alle überschlagen sich! Fiat hat den legendären Cinquecento wach geküsst und Italienfans fallen in Verzückung. La Dolce vita, Vecchia romana und Anita Ekberg in der Fontana di Trevi... fare bella figura ist wieder angesagt, ganz im Stil der 60er Jahre. Nur – o sole mio - ein bißchen umweltfreundlicher, der neue 500 entspricht den Euro 5 Emmissions-Maßgaben, zwei Jahre bevor sie Gesetz werden.
Das alles klingt wie die perfekte Ehe, eine Mischung aus Herz und Verstand. Also machen wir mal die Augen ganz groß, so wie seinerzeit Marcello Mastroianni und gucken genau hin. Volkswagen hat den Käfer neu aufgelegt, BMW den Mini, nun auch Fiat den Cinquecento. Wo bleibt eigentlich Citroën mit der “Ente revisited”? Denn die Retro-Schnuckelchen laufen gut: Der neue Käfer hat sich seit 1998 eine Million mal verkauft, der neue Mini kommt seit 2001 auf die selbe Zahl und Fiat hat im ersten Monat schon mehr als 57 000 Flitzer auf die Straße gebracht. Offenbar passen die City Cars gerade in die urbane Landschaft. Die Städte sind immer verstopfter, Parkplätze so rar wie Spargel im Dezember, Brüssel will Autowerbung für Spritfresser verbieten und über die Benzinpreise an sich wollen wir lieber erst gar nicht nachdenken. Kleinere, energieeffiziente Autos sind das Gebot der Stunde.
Das einzige, was zunächst daran stört, ist der Griff zurück auf alte Ideen. Warum muss ausgerechnet die modernste Version des Individualverkehrs diesen Widergänger-Charakter haben? Bislang wurden Autos jedes Jahr noch ein wenig größer. Dass sich die Europäer der Umwelt und dem Geldbeutel zu liebe von ihren statusträchtigen Straßenschleudern verabschieden und plötzlich Autos fahren, die bald kleiner sind als in USA die Golfwagen, ist revolutionär. Doch Ausdruck findet dieser relativ neue Wunsch nach sparsamen Städter-Gefährten ausgerechnet in einer Nostalgie-Orgie. Wo sind die Designer, die einem neuen Trend ein zeitgenössisches Gesicht geben?
Der neue 500 ist nun ein Panda in anderem Gewand: Plattform, Motor, Getriebe und das meiste des übrigen Innenlebens teilen sich beide Typen, ebenso wie ihren Herstellungsort Tychy in Polen. Dort wird übigens bald auch der Ford Ka gebaut – dann gibt es drei Mal dasselbe Auto mit verschiedener Optik. Warum löst das eine Leidenschaft aus und das andere ein Achselzucken?
Der Grund dafür ist simpel: Die Generation X, die jetzt in den 40ern ist, kauft die relativ teuren Retro-Kisten fast mit einem ironischen Augenzwinkern, als kleine Verbeugung vor einem Jugendkult, zu dem sie nicht mehr gehört. Immerhin waren diese Wagen allgegenwärtig, als diese Leute selber 17 waren und die Chancen stehen nicht schlecht, dass die erste Kiste so manch eines italienischen Luigi ein zerbeulter Cinquecento war – so wie die erste automobile Liebe eines deutschen Michels ein Käfer und die eines britischen Tommys ein Mini gewesen sein mag.
Die Hersteller haben die Sehnsucht nach der verflossenen Jugendliebe kapiert, wenn Fiat auch zu allerletzt. Andererseits gab dieser Denkpause den Turinern Zeit, von den anderen zu lernen und nun treiben sie die Nostalgie-Bereitschaft der 40+ gerade auf die Spitze. Da mischt sich der sentimentalen Blick zurück mit modernstem Werberschnickschnack, wie die Homepage fiat500.com zeigt. Da können User Songs eingeben, an die das Auto erinnert und was kommt? “Siempre tu”, “Azzurro”, “Amore” und “Stand by me”. Alles so neu wie der Cincequento selber. Eine Fotogallerie zeigt uns den Produktlaunch in Turin, wo viele Männchen ihren neuen Fiat auspacken: Unter einer Abdeckung, die wie der alte Cinquecento gestaltet ist, findet sich der neue und das “offizielle Video” zeigt Schwarzweißbilder vom Original. Sind wir nicht alle ein wenig Ragazzi?
Gleichzeitig stehen bei youtube 28 weitere zeitgenössische Filmblogs, der Nutzer kann online seinen eigenen Fiat-Jingle gestalten und sich einen persönlichen Flitzer in 500 000 verschiedenen Variationen zusammen bauen. Kurz: Das Auto selber ist so innovativ wie meine alten Schuhe, aber die Kampagne spielt wunderbar mit den Gefühligkeiten der Zielgruppe. Molto bene, das muss man den Marketingfreunden bei Fiat lassen.