Charme der Bequemlichkeit: Brötchen mit Benzolgeschmack

Von Peter Littmann

Was haben Bahnhöfe und Tankstellen gemeinsam? Alle, die da sind, wollen so schnell wie möglich wieder weg. Das liegt in der Natur der Sache - aber nicht nur. Der Fluchtinstinkt wird auch dadurch angeregt, dass sowohl Tankstellen als auch Bahnhöfe nach Kräften stinken und im Charme-Niveau mit einer leeren Flasche Bier konkurrieren können.


Zumindest für Tankstellen wird das langsam eng, denn im Gegensatz zu Bahnhöfen gibt es von ihnen immer noch viel zu viele. 1968 verkauften allein in Westdeutschland 47 000 Stationen Benzin, inzwischen sind es noch 15 000. Gestorben wird langsam, aber kontinuierlich: 2004 machten 350 dicht, im vergangenen Jahr noch mal ein Prozent aller existierenden Tankstellen.

Besserung ist nicht in Sicht, denn einer Analyse des Hamburger Energie Informationsdienstes EID zufolge ist die Gewinnlage der deutschen Tankstellenbetreiber noch schlechter als ihr Service. Die Bruttomarge pro Liter Sprit liegt in Deutschland bei 6,45 Cent, während er in den Niederlanden bei 11,78 Cent und in Italien gar bei 13,66 Cent liegt. Der tatsächliche Verdienst deutscher Pächter pro Liter ist nach EID-Angaben nur der Betrag oberhalb der sechs Cent. Hintergrund der Misere sind der scharfe Preiswettbewerb und schrumpfende Volumina beim Spritverkauf. Marktkenner meinen, dass viele Kleinbetriebe noch gerade so viel verdienen, dass ein Weitermachen ihnen sinnvoller erscheint als die kostenintensive Stilllegung. Im Klartext heißt das: Hart gerechnet gibt es immer noch ein paar tausend Tankstellen zu viel.

Wer überleben will, braucht Ideen. Jet beispielsweise verkaufte sämtliche Autobahntankstellen an Aral. Der BP-Tochter kam das gerade recht, denn die Marke Aral ringt schon länger mit Shell um die Marktführerschaft in Deutschland.

Doch auf die Kunden bewegen sich die beiden großen Spieler nur im Krebsgang, wenn auch auf unterschiedlichen Wegen. Shell warb in den vergangenen zwei Jahren mit Spezialbenzinen, einer Clubkarte und der Wiedereinführung des "Tankwartservice" an ausgewählten Stationen. Außerdem gibt es immer wieder Boni: ADAC-Mitglieder tanken gerade zwei Cent billiger und das offenbar so gerne, dass die Rabattaktion über den ganzen Mai ausgedehnt wird.

Die Blaumänner von Aral, meistens nicht mehr in der Lage, auch nur das kleinste Zipperlein am Wagen des Kunden zu behandeln, schlagen derweil mit einer Fressattacke zurück. Petit-Bistro, die Imbissbude der Marke, hat sich inzwischen zu einem der zehn umsatzstärksten Gastronomiebetriebe Deutschlands hochgefuttert. An mehr als 1 200 Tankstellen gibt es nun auch Brötchen, Süßes, Salat und Kaffee-Spezialitäten. Im vergangenen Jahr legte Aral im Food-Bereich ein Wachstum von knapp elf Prozent auf insgesamt 163 Mill. Euro hin. Das Bistro steht damit für eine Umsatzsteigerung von vier Prozent.

Der Kampf um die Gunst der Autofahrer wird also auf Nebenkriegsschauplätzen ausgetragen. Schüttete der Tankwart früher vor allem Sprit ins Auto, füllt er denselben heute in Form von Kaffee oder Softdrinks in den Fahrer. Dazu passt, dass der Convenience-Großhändler Lekkerland seinen Umsatz 2006 deutlich steigerte - das Wachstum stammt schwerpunktmäßig von Tankstellen, die 20 Prozent mehr orderten als im Jahr davor.

Das ist eigentlich widersprüchlich. Deutschland hat Aldi und Lidl hervorgebracht und ist seither berüchtigte Weltklasse im Lebensmittel-Discount. Gleichzeitig zahlen die Deutschen an der Tankstelle ohne zu murren höhere Preise für Buletten und Bier, weil das Shoppen da vermeintlich so praktisch ist.

Außerdem hat es der Mensch hier zu Lande für gewöhnlich mit der Hygiene, empfindet er etwas als nicht perfekt gepflegt, fällt er in eine Krise. Doch mit Tankpfoten zum Brötchen zu greifen ist offenbar kein Problem. Überdies sind die Deutschen echte Gesundheitsfans - das in Mineralöl enthaltene Lösungsmittel Benzol jedoch ist krebserregend. Dass es in einer Dunstwolke aus den Zapfsäulen wabert und sich dann auf alle in der Umgebung erhältlichen Produkte verteilt, scheint nicht zu stören.

Was lehrt uns das, außer dass Verbraucher nicht logisch sind? Viele leben gestresst und unter Zeitdruck. Die Erfolgsgeschichte "Tanken beim Shoppen" zeigt: Zu den Gewinnern zählt, wer dem Kunden Rund-um-die-Uhr-Convenience bietet. Darüber lohnt es sich nachzudenken, denn margenschwache Geschäfte mit zu vielen Outlets gibt es auch in anderen Branchen.

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