Die Welt ist keine Scheibe, sondern kugelrund
Für Amerikaner ist Fußball das unter den Sportarten, was Kanada für sie unter den Ländern ist. Der Nachbar wird nicht mal mit Mitleid betrachtet, sondern schlicht nicht zur Kenntnis genommen. Während fünf Milliarden Zuschauer auf der ganzen Welt zitterten, feierten und vor Emotionen bebten, blieb es in Amerika merkwürdig still. Der Sportsender ESPN hat zwar einige Spiele übertragen, allerdings schlecht kommentiert von völlig ahnungslosen Moderatoren. Einer ging sogar so weit zu vermuten, der auf der Tribüne sitzende Michael Schumacher sei der Manager der deutschen Nationalelf.
Vor der Weltmeisterschaft versuchten sich auf beiden Seiten des Atlantiks einige einzureden, Fußball sei in Amerika im Kommen. Vor vier Jahren in Japan schafften es die Amerikaner ja schließlich ins Viertelfinale, und vielleicht hat das ein wenig Interesse wecken können. Doch nichts war dieses Jahr, und das hatte nicht nur mit der schwachen Leistung der US-Equipe zu tun.
Vielmehr verstehen die Amerikaner gar nicht wirklich, was den Rest der Welt bewegt. Das Spiel und das Eigentliche dahinter. Nehmen wir mal Chelsea, das derzeit erfolgreichste Team der britischen Liga. Da spielen ein Tscheche, ein Ghanaer, ein Holländer, einer von der Elfenbeinküste und ein Argentinier. Das Team hat einen portugiesischen Coach und gehört einem russischen Millionär.
Oder die Brasilianer: 20 der 23 Mitglieder der Nationalmannschaft spielen in europäischen Vereinen. Bei einer Weltmeisterschaft treffen die plötzlich als Gegner auf einige ihrer angestammten Teamkollegen, die nun ihrerseits plötzlich für ihre Heimatländer kicken. Heute Freund, morgen Feind - für die Amis, von denen die überwiegende Mehrheit keinen Reisepass besitzt und auch nie heimischen Grund und Boden verlässt, ist das unverständlich und viel zu viel der Globalisierung.
Umgekehrt funktioniert die Völkerverständigung allerdings auch nur bedingt. American Football, in den USA heiß geliebt, ist in Europa Mini-Minderheitenprogramm. 1986 versuchten die Amerikaner, eine europäische Liga auf die Beine zu kriegen: mit Teams aus London, Barcelona und Frankfurt. Doch nach 1992 wurde der Spielbetrieb von den Investoren wieder eingestellt.
Zwei Jahre später ging es ohne globalen Anspruch als NFL Europe weiter. Es entstanden neue Teams, andere traten ab. Ab 2005 waren die Spiele nur noch im Bezahlfernsehen Premiere zu sehen, dieses Jahr läuft gelegentlich was bei der ARD. Letztlich jedoch hat es American Football in Europa nie auf den Radar des allgemeinen Interesses geschafft.
Wir verstehen es einfach nicht. Anderen US-Sportarten erging es im Export nicht besser: Baseball ist nur in Japan populär und in Teilen von Lateinamerika, Basketball fasziniert neuerdings in China, aber das ist alles überhaupt nichts im Vergleich zum Welterfolg der britischen Erfindung, das Runde ins Eckige zu klopfen.
Was lehrt uns das im Hinblick auf Marketing? Überraschung, Überraschung! Nicht alles lässt sich überall vermarkten, nicht einmal im Sport. Natürlich gibt es globale Brands, die fast weltweit funktionieren wie Coca-Cola oder McDonald's. Spätestens seit dem Fußballfest in Deutschland gehören Adidas und Puma - die eigentlichen Sieger der Spiele - wohl auch in diese Riege.
Aber seien wir doch ehrlich: Wie viele wirklich globale Marken gibt es? Und wie viele multinationale Anbieter verbiegen sich rückwärts, um ihre Produkte an lokale Gegebenheiten anzupassen? Eiscreme derselben Marke schmeckt verschieden, je nachdem, ob man sie in USA, Japan oder Griechenland kauft, und manche Produkte sind in verschiedenen Märkten unterschiedlich positioniert, auch weil Produktnamen etwas anderes bedeuten, je nachdem in welchem sprachlichen Kontext sie auftreten.
Betrachtet man nur die Einkaufsmeilen der Metropolen in Europa, Asien und Amerika, sieht die Szenerie zunehmend gleich aus. "Die Welt ist flach", beschreibt Bestsellerautor Thomas Friedman das Phänomen in seinem neuen Buch - getrieben von IT und Internet, passt die Welt praktisch auf eine kleine Scheibe. Geht es jedoch um Leidenschaften, Identifikation und kulturellen Hintergrund - und das macht viele Marken letztlich aus - sieht die Welt wieder ganz anders aus: kugelrund wie ein Fußball.