Marken brauchen ein Orchester, keine Diva
Wer auf die Frage "Was ist Luxus?" die Antwort "Eine Handtasche von Prada" oder "Ein Fräckchen von Zegna" erwartet, wird im reichen Westen immer öfter enttäuscht. Die Leute sagen stattdessen "Freiheit", "Unabhängigkeit" oder "Weltfrieden". Gleichzeitig eröffnet an den Top-Shoppingmeilen Asiens quasi wöchentlich ein neuer Flagshipstore. All die Palazzi sind Reaktionen auf die Vorhersage, dass spätestens in zehn Jahren 40 Prozent der Umsätze mit Luxusprodukten in Asien gemacht werden. Entsprechend frenetisch ist der Run der Modeindustrie auf China, Indien und Russland.
Dieses wissend, muss man kein Futurologe sein, um die Vorhersage zu wagen, dass die Welt sich teilen wird - in die alten Märkte Europas und Amerikas, wo Luxus zunehmend nichtmateriell definiert wird, und die neuen im Süden und Osten, die unter Luxus immer noch sichtbare Markenlogos verstehen. Wie werden die entsprechenden Hersteller mit diesem Schisma umgehen?
Durch Diversifikation in Nebenkriegsschauplätze wie Hotels, Cafés und Heimdekoration, so wie Bulgari und Armani es vormachen? Im Eröffnen neuer Geschäfte in kommende Märkten, wie es Bernard Arnauld, der Chef von LVMH, ankündigt? Er deutet eine Verdoppelung der Umsätze in den nächsten fünf Jahren an, generiert vor allem durch neue Outlets in Asien.
Was bedeutet diese Entwicklung für die Designleistung? Kann man den Wunsch nach Substanz im Westen mit denselben Marken, Produkten und Designern bedienen wie die Lust am Vergänglichen im Osten? Und, falls die Antwort Nein ist, was bedeutet das für das einheitliche Gesicht einer Marke? Wir erreichen offenbar gerade ein neues Stadium in der steinalten Diskussion: Braucht eine globale Marke weltweit einen einzigen monolithischen Auftritt und einen Stardesigner, der diesem ein Gesicht gibt?
Einerseits: Was wäre Chanel ohne Karl Lagerfeld, Prada ohne Signora Miuccia und Armani ohne Giorgio? Andererseits: Betrachten wir den Fall Gucci. Mitte der 90er-Jahre eine obskure Ruine am Rande des Konkurses, bis Tom Ford auf der Bühne erschien. Er gab Gucci den alten Glanz zurück, und die Presse feierte ihn wie den neuen Leonardo da Vinci. Als er allerdings begann, seinen Namen neben den von Gucci zu stellen, platzte dem Luxustycoon François-Henri Pinault von PPR der Kragen: Raus flog Ford - und wurde ersetzt durch ein dreiköpfiges Designerteam. Die Ära des Stardesigners schien beendet.
Nun, rund zwei Jahre später, gibt es mit der in der Öffentlichkeit unbekannten Frida Giannini wieder einen Chefdesigner - bis auf weiteres. Im Effekt bedeutet das nichts anderes als: Marken sind heute wertvoller und wichtiger als Designer, auch wenn viele von ihnen durch Einzelpersonen wie Christian Dior oder Yohji Yamamoto erst entstanden sind. Die Mode ändert sich, Märkte entstehen und verschwinden - eine Marke muss diesen Prozess mal anführen und mal nur überstehen können. Jedenfalls kriegt sie keinen Schreikrampf, weil der Zeitgeist oder das Management sich ändern. Bei Designerstars - besonders bei etwas kleineren, denen die lokale Presse ständig ihren eigenen Genius bestätigt - ist mit weitaus weniger Gelassenheit zu rechnen.
Thomas Burberry erfand den Trenchcoat vor fast 150 Jahren, Yves St. Laurent legte längst die Schere weg, Helmut Lang und Jil Sander versilberten ihre Labels. Natürlich braucht eine Marke eine Identität. Aber am Ende ist ein Markenartikelhersteller heute kein Künstleratelier mehr, sondern ein vielstimmiges Orchester. Das braucht einen kühnen Dirigenten, der den Ton setzt. Ein überragender Solist ist schön, darf das Ensemble selber aber nicht dauerhaft übertönen. So wie bei Dior, eine der Erfolgsgeschichten der vergangenen Jahre. Da steht John Galliano zwar für die Tonalität, macht aber nur die Damenkollektion. Für den Schmuck zeichnet Victoire de Castellane verantwortlich und für die Herrenkollektion Hedi Slimane.
Design ist vergänglich, nicht aber die Frage: Was ist Luxus? Die Antworten wechseln, neuerdings auch geographisch, und Brands müssen sich immer wieder neu erfinden. Das fällt einem Team oft leichter als einer Diva.