Helden aus der Marketing-Küche
Die Alten hatten Odysseus, Siegfried oder König Artus. Das Fernsehen gab der Moderne John Wayne, James Bond - und Clint Eastwood für diejenigen, die tragische Helden überzeugender finden als strahlende. Der Sport schuf Gestalten wie Boris Becker oder Michael Jordan, sogar eine wie Franz Beckenbauer. Ach ja, und dann war da noch der Marlboro-Mann.
Nur doof, dass es bei herkömmlichen Helden fast immer um Kampf geht, Männlichkeit und Selbstentäußerung. Das passt nicht mehr so richtig in unsere post-ironische Zeit. Köche sind da doch viel lustigere Objekte der Verehrung. Sie lehren uns Friedliches: Unseren Sinnen zu vertrauen und Geschmack vor Oberfläche zu setzen. Wenn schon Heldenverehrung, wie wäre es mit Paul Bocuse, Alain Ducasse oder Ferran Adria Acosta? Wenn es sein muss, auch Alfred Biolek, der für den Standard in Muttis Küche mehr getan hat, als irgendwer sonst.
Held aller Helden ist Jamie Oliver. Er betreibt in London und Amsterdam unter dem Namen "Fifteen" zwei angesagte Restaurants, was an sich noch nichts Besonderes wäre. Aber er verwendet die 400 000 Pfund, die die Läden im Jahr abwerfen, für wohltätige Zwecke. Er nutzt seine Küche, um Jugendlichen aus Problemvierteln das Kochen beizubringen. Er engagiert sich, um das Mittagessen an Englands öffentlichen Schulen zu verbessern, damit die kleinen Briten lernen, dass man mit der Zunge mehr anfangen kann, als sie Lehrern rauszustrecken.
Das alles kann sich "Saint Jamie", wie ihn die britische Presse nennt, nur leisten, weil er schon seit sechs Jahren Werbeträger für die britische Supermarkt-Kette Sainsbury ist. Und genau hier wird die Sache interessant.
Werber haben schon bessere Zeiten gesehen. Der technische Fortschritt ist ihre Nemesis: Digitale Rekorder erlauben es TV-Zuschauern, jegliche Werbung auszublenden und eine ganze Branche fragt sich nun, wie das Marketing künftig noch an den Mann zu kriegen ist. Das geht nur, wenn Kommunikation künftig so wertvoll, nützlich oder unterhaltsam ist, dass die Leute sich ihr freiwillig aussetzen.
Jamie Oliver scheint das hinzukriegen mit einer Mischung aus Unterhaltung, sozialem Engagement, Verspieltheit und Glaubwürdigkeit. Seine Versuche, den Briten gesundes Essen nahe zu bringen sind authentisch, nicht nur, weil er eigenes Geld dafür ausgibt. "Mein Job ist es, für die Kantinenchefin in der Schule zu sprechen und für die Eltern, nicht irgendwem in den Hintern zu kriechen", sagt Jamie, der schon mal einen Termin mit Bill Clinton abgelehnt hat.
Der Vertrag mit Sainsbury bestand längst, als Oliver anfing, aus seiner Küche Bücher und aus der Jugendarbeit TV-Sendungen zu machen. Der Agentur musste nur noch einfallen, dass der Koch den Leuten empfiehlt, mal was Neues auszuprobieren - schließlich hat Sainsbury 30 000 Produkte auf Lager, während der Verbraucher im Schnitt immer dieselben 120 kauft. Wenn Oliver jeden Kunden überzeugt, nur ein weiteres auf den Einkaufszettel zu nehmen, entsteht für den Sponsor gewaltiges Wachstum.
Jamies Botschaft an die Werber ist mehrdeutig: 1. Die TV-Spots der Zukunft können nur funktionieren, wenn sie für den Empfänger gemacht werden und nicht für den Auftraggeber. Wenn das Publikum nicht Spaß, Unterhaltung oder Lebenshilfe in ihnen findet, gehen sie unter. 2. Promi-Werbung funktioniert. Aber nur das Gesicht eines Schauspielers vor eine Kamera zu halten, ist zu wenig. Menschen wollen richtige Menschen und echten Text, keine Kunstfiguren und auswendig gelernte Sprüche. 3. Glaubwürdigkeit ist das Salz in der Suppe, Oliver empfiehlt längst nicht alles, was Sainsbury im Regal hat.
4. Wer, außer Köchen, eignet sich noch für ähnliche Kooperations-Orgien aus Büchern, TV-Produktionen und Werbung? Mit dem Marlboro-Mann ist kein Staat mehr zu machen. Mit den Beckenbauers dieser Werbewelt noch weniger.