Über guten Inhalt entscheiden die Nutzer
Wer wissen will, wie alt er wirklich ist, gehe ins Internet. Da entsteht eine neue Welt, die alte Dackel erst verstehen lernen müssen. Manchem alten Hasen wie Rupert Murdoch - der ansetzt, sich zu seinem Print- und TV-Imperium auch noch ein virtuelles zusammenzukaufen - gelingt das, vermutlich dank Beratern im Alter von 17.
Alle anderen über 30 studieren die Welt der Blogger mit Ehrfurcht. Inzwischen gibt es 27 Millionen von diesen Onlinejournalen im Internet, auf denen Leute politische Ansichten kundtun, Tipps für Aromatherapie austauschen oder die neueste Unterhaltungselektronik diskutieren. Daneben gibt es Fanseiten für alle möglichen Marken von Apple über Lego bis hin zu Frosta. Viele Blogger sind untereinander vernetzt, diese Szene ist das größte Caféhaus der Welt. Dort verbreitet sich Kritik so schnell wie Klatsch.
Deswegen müssen jetzt auch besagte alte Dackel ran: Jede Menge Marketingmanager schreiben regelmäßig "weblogs". Natürlich nicht, weil es Spaß macht, mit frechen Konsumenten zu diskutieren. Sie müssen ran, um nicht Unternehmensfremden die Deutungshoheit über ihre Produkte zu überlassen.
Laut "New York Magazine" heißt eines der erfolgreichsten Blogs "Gawker" und beschäftigt sich mit Klatsch. Das reicht, um 200 000 "page views" am Tag zu generieren. Auf jeder Seite sind zwei Anzeigen - die Werbekunden zahlen sechs bis zehn Dollar für 1 000 angeklickte Seiten. Das ist nicht schlecht, denn Blogs sind billig. Gawker wird von zwei Journalisten bestückt, die Software dazu gibt's gratis im Internet.
Blogs werden über Links bekannt - man tauscht diese per Mail aus. Wer gut verlinkt ist, hat also Erfolg und Anzeigenaufkommen. Die Attraktivität als Werbeplattform wird auch über die Qualität des Publikums definiert. Der Klatschblog "Perez Hilton" hat zwar 220 000 "page views" am Tag, aber das Publikum ist ähnlich intelligent wie das Subjekt der Seite - also kostet eine Anzeige bloß 202 Dollar in der Woche. "Boing boing" hingegen, gegründet von fünf Ex-Redakteuren des Kult-Magazins "Wired", hat nicht nur 1,7 Millionen Leser, sondern auch Anzeigenpreise um die 8 000 Dollar pro Woche.
Häufige Themen sind Klatsch, Technik und Sex. Daneben entwickelt sich eine Demokratie von unten, "Citizen Journalism" genannt. In dieser neuen Welt wird vielen Medienmanagern angst und bang: Die jungen Leute spielen Video statt fernzugucken, und sie lesen Blogs statt "FAZ", und wenn sie ein Auto oder einen Job suchen, gehen sie ins Netz statt an Vatis Zeitung. Die Reaktion ist klar: Medien ergänzen ihre Onlineseiten um Blogs.
Aber was bedeutet das alles aus der Alte-Dackel-Sicht?
1. Die Zukunft der Werbung wird in ihren Randgebieten erfunden. In den Blogs ziehen vor allem Witz, Sex und Klatsch. Die Sprache ist kürzer und flapsiger. Schwerblütige Anzeigen oder Spots werden höchstens zum Lacherfolg.
2. Was "guter" Content ist, entscheiden heute die Nutzer, nicht mehr die Macher, das gilt für Bürgerjournalismus genauso wie für die Werbung drumherum.
3. Die Menge an Plattformen ist seltsamerweise unendlich - jeden Tag entstehen um die 40 000 neue Blogs. Die Menge an Talent ist es ebenfalls, überraschend viele Menschen machen im Netz überraschend kreative Sachen. Das sollte auch die Agenturen inspirieren.
4. Die Produktionskosten für die neuen "Medien" sind im freien Fall, und wahrscheinlich werden die Gestellungskosten für Werbung auch sinken müssen.
5. Die Grenze zwischen Unternehmenskommunikation und Journalismus löst sich weiter auf, denn wer weiß schon, warum einer im Netz ein Notebook lobt? Ist er ein engagierter Technikkenner oder ein Söldner des Herstellers?