Drei Stellen hinterm Komma

Von Peter Littmann

Bis vor zehn Jahren war ein Besuch beim Mercedes-Händler - na, sagen wir es mal so: eine ziemlich meditative Erfahrung. Daimler baute im Wesentlichen drei Autolinien, und jedes Kind wusste: Wo der Stern draufsteckt, steckt Mercedes drunter, und das bedeutet ein technisch erstklassiges, verlässliches deutsches Auto. Dann jedoch sollten plötzlich mehr Chancen auf mehr Märkten genutzt werden. Mercedes-Benz begann eine Art "line extension" nach unten. Das Ganze wurde kurzatmig umgesetzt, und erwartungsgemäß lief das Unternehmen in entsprechende Qualitätsprobleme.


Der Marke bekam das genauso wenig wie dem Management, das die Malaise zu verantworten hat und heute aus den unterschiedlichsten Gründen öfter in der Zeitung steht, als ihm lieb sein kann. So wie die Kunden genervt auf die nächste Rückrufaktion warten, starren die Investoren entsetzt auf den seit Jahren humpelnden Kurs der Aktie.

Doch nicht nur der Börsenchart sieht aus wie ein Unfallwagen, sondern auch das Image. Das zeigt sich im neuesten Bericht zum Markenwert, veröffentlicht vom US-Wirtschaftsmagazin "Business Week" und der Marketingberatung Interbrand. Auf der Top-100-Liste der wertvollsten Marken weltweit liegt Mercedes nur noch auf dem elften Platz, mit sechs Prozent weniger Markenwert notiert als im vergangenen Jahr.

Schlimmer noch erwischt hat es Sony (- 16 Prozent Markenwert), Morgan Stanley (- 15), Volkswagen (- 12), Levi's (- 11) und Hewlett-Packard (- 10). Gewaltig zugelegt haben dagegen Ebay (+ 21 Prozent), HSBC (+ 20), Samsung (+ 19), Apple (+ 14) und UBS (+ 16). Vergleicht man die Hit- mit der Shit-Liste, fällt auf, dass alle Gewinner auf eine klare Markenidentität setzen, die in allen Produkten, auf allen Märkten, in jedem einzelnen Kundenkontakt mit derselben peinlichen Gründlichkeit umgesetzt wird. Zumindest Apple und Ebay sind überdies echte Innovatoren, denen es immer wieder gelingt, die Gesetze ganzer Branchen zu verändern.

HPs innovative Kraft hingegen schwächelt schon geraume Zeit, genau wie die von Sony - ausgerechnet der Konzern, der den Walkman erfand, überließ den Ipod der Konkurrenz. VW hingegen hat ein ähnliches Problem wie Daimler-Chrysler, nur in die andere Richtung. Die Wolfsburger versuchten mit den Luxuskarossen Touareg und Phaeton den Vorstoß in höhere Gefilde. Mit dem Ergebnis, dass sich die Stammkunden im Stich gelassen fühlen, die von ihrer Marke vor allem praktische, verlässliche und bezahlbare Qualität erwarten, und die technisch interessierten Neukunden die teuren Autos nicht kaufen, weil sie das VW-Logo stört. Die Marke leidet.

Kurz: In der Betrachtung des relativen Auf und Ab der einzelnen Marken ist das Ranking nachvollziehbar und ein brauchbarer Spiegel der Realität. Schwieriger mit dem intellektuellen Nährwert wird es aber bei den absoluten Zahlen. Der Rangliste zufolge ist das wie immer erstplatzierte Logo Coca-Cola 67,525 Milliarden Dollar wert, dicht gefolgt von Microsoft mit 59,941 Milliarden Dollar. Dieser Betrag soll ausdrücken, wie viel eine Marke künftig verdienen wird. Für die Zukunft prognostizierte Gewinne werden also heruntergerechnet auf einen gegenwärtigen Wert. Wie jedoch die Rechnung genau aussieht, bleibt das Geheimnis der Blackbox.

Das ist ungefähr so überzeugend wie ein Museumsdirektor, der sagen würde: "Meine Sammlung wird in den kommenden fünf Jahren mit einer Wahrscheinlichkeit von 93 Prozent 15 Millionen Besucher anziehen, die alle zwölf Euro Eintritt zahlen und mit einem guten Gefühl nach Hause gehen. Deswegen liegt der Imagewert der Kunst in meinem Haus heute bei 30,234 Millionen Euro."

"Und wie viel Cent?" möchte man da fragen. Besonders niedlich ist die dritte Stelle hinter dem Komma: Hier zeigt sich exakte Wissenschaft in ihrer ganzen Schönheit. Hübsch ist die Pseudogenauigkeit schon deswegen, weil bei jeder Methode der Markenwertuntersuchung (und es gibt einige!) für jedes einzelne Brand etwas anderes rauskommt, das dafür aber ganz genau.

Mal im Ernst: Was ein Objekt wirklich wert ist, zeigt sich erst, wenn einer es tatsächlich kauft. Das gilt für eine Marke wie für ein Kunstwerk. Oder für ein Auto - da kann man heutzutage auch jeden Mercedes-Händler fragen.

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