Mutter Teresa an der Börse
Die Leute hören einfach nicht zu", stöhnte schon Klaus Töpfer, der Ex-Bundesumweltminister und Chef der Umweltorganisation der Vereinten Nationen.
Erhobene Zeigefinger und Gewissensappelle beeindrucken das Ökobewusstsein eben genauso wenig wie die Mitteilung "Rauchen tötet" auf Zigarettenpackungen das Gesundheitsbewusstsein. Töpfers Frust ist kaum verblüffend, denn – Hand aufs Herz – wer will sich schon gerne wegen seiner Konsumgewohnheiten ein schlechtes Gewissen einreden lassen? Schließlich praktizieren nach Uno-Erkenntnissen nur fünf Prozent der Bewohner der Nordhalbkugel einen dauerhaft umweltverträglichen Lebenswandel.
An den Schauerszenarien der Ökofreaks über außer Kontrolle geratenes Klima und vergiftete Gebiete sind wir restlichen 95 Prozent nicht wirklich interessiert – höchstens wenn sie als Unterhaltung daherkommen. In Form eines Kinofilms zum Beispiel, wie erfolgreiche Hollywoodproduktionen über Wirbelstürme oder zufrierende Großstädte eindrucksvoll beweisen.
Die meisten Leute orientieren sich eben weniger am moralisch Wünschenswerten als an ihrem persönlichen Lustgewinn. Den Menschen Freude zu bereiten, wenn sie "das Richtige" tun, ist der einzig realistische Ansatz, um dem Guten, Wahren, Schönen in ökologischen oder auch sozialen Fragen zum Erfolg zu verhelfen.
Der koreanische Autohersteller Kia versuchte beispielsweise in Großbritannien, die Nutzung von Verbrennungsmotoren für kurze Strecken zu reduzieren, indem die Käufer von Neuwagen ein Mountainbike als Dreingabe erhielten. Das wirkt besonders schön, wenn es plötzlich angesagt ist, dynamisch auf dem Rad am morgendlichen Stau vorbei ins Büro zu flitzen. Auch der Siegeszug von Body Shop beruht auf ähnlichen Emotionen: Die Käufer dieser Kosmetik haben das tolle Gefühl, dass für ihr Shampoo weder Mensch noch Tier leiden muss.
Warum aber engagiert sich ausgerechnet ein Autohersteller dafür, dass seine Kunden die Karre in der Garage lassen? Die Antwort ist vielschichtig. Eine Marke ist immer so viel wert wie ihr Image beim Verbraucher und die Gefühle, die sie auslöst – und die wiederum sind abhängig von der Reputation eines Produkts und des dahinter stehenden Unternehmens. Man denke nur an die Fabrik von Union Carbide, die 1984 im indischen Bhopal explodierte, an das Exxon-Valdes-Desaster vor der Küste Alaskas – und an andere Verfehlungen der Unternehmen, die heute via CNN und Internet in Windeseile das Publikum erreichen. Dieses erklärt sich dann für hinreichend entsetzt, um die Marke zu wechseln.
Dabei zeigten die Boykottaufrufe gegen Benzin von Shell im Zusammenhang mit der Entsorgung der Bohrplattform Brent Spa letztlich nur eines: Selbst wenn wir privat nicht den Müll trennen, unsere Putzfrau nicht sozial versichern und gerne mal mit 200 Stundenkilometern durchs Land preschen, erwarten wir von den Unternehmen als Produzenten und Arbeitgeber, dass sie sich verhalten wie die Mutter Teresa des Aktienmarktes. Aus Sicht der Firmen kann das nur bedeuten: Reputationsmanagement und Brandmanagement sind wie eineiige Zwillinge: nicht dasselbe, aber nur schwer zu trennen.
Wer sich also einem strengen Moralkodex verschreibt und seine Einhaltung durchsetzt, handelt möglicherweise auch betriebswirtschaftlich richtig. Und selbst wenn das Kind schon im Brunnen liegt, kann es sich für die Verantwortlichen noch auszahlen, dem Druck der Öffentlichkeit nachzugeben, wenn diese eine andere, moralischere Firmenpolitik verlangt.
Der Diamantenkonzern De Beers geriet in die Kritik, weil er von afrikanischen Guerillaorganisationen "blutige" Diamanten gekauft und so indirekt Bürgerkriege finanziert haben soll. In der Folge brach De Beers’ Absatz ein. Das Management handelte. Es erklärte, keine Steine mehr aus dubiosen Quellen zu kaufen, und unterstützte eine Initiative der Uno, Länder wie Angola oder Sierra Leone mit einem Diamanten-Embargo zu belegen. Das Ergebnis: Der Markt wurde nicht mehr mit den Billigbrillanten der Kämpfer überschwemmt, stattdessen verkauften sich wieder die "sauberen" Diamanten aus De Beers’ Lagern. Und das Unternehmen wurde plötzlich von denselben Leuten gelobt, die es vorher attackiert hatten. Manchmal hören die Leute eben doch zu.