Erbsen zählen im Internet

Von Peter Littmann

Standards sind was Feines! Alle kennen sie und wissen daher, woran sie sind! Schade nur, dass Standards überall anders sind. Ein Vier-Sterne-Hotel auf einer griechischen Insel ist noch lange keines in Kassel, der Strom kommt mal mit 110, mal mit 230 oder 240 Volt aus der Steckdose. Milch wird hier in Litern gemessen und in Amerika in Ounces, die Angelsachsen trinken ein Pint, wenn wir eine Halbe schlucken, nur dass die Amis ein anderes Pintmaß haben als die Briten.


Wer nun glaubt, das Internet mache alles einfacher, irrt gewaltig, denn auch im Jahr 19 nach der Geburt des World Wide Web gibt es keinen einheitlichen Standard, um seine Nutzung zu messen. Wer guckt online was und wie lange? Glaubt man der Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. (IVW), heißt das gültige Maß "page impressions" - da wird gemessen, welche Site wie viele Klicks mit der Maus erzeugt. Demnach sind die erfolgreichsten Seiten in Deutschland SchülerVZ, StudiVZ, Wer-kennt-wen, T-Online und Mobile.de.

Alles klar? Keineswegs. Klicks sagen nicht nur nichts darüber aus, wie intensiv die Augäpfel auf einer Seite waren, sie bedeuten nicht mal, dass tatsächlich ein interessierter Mensch aktiv war, Computer können auch ganz alleine klicken.

Page-Impressions haben mit Reichweitenmessung nichts zu tun, unkt daher die Agof, die Arbeitsgemeinschaft Online Forschung, und empfiehlt den Leistungswert "unique user". Dieser Standard soll tatsächlich beschreiben, wie viele Nutzer und nicht Computer ein Angebot erreicht. Dazu werden nicht nur Klicks gezählt, sondern auch Nutzerbefragungen durchgeführt. Rechnet man in dieser Währung, heißen die erfolgreichsten Sites derzeit T-Online, Web.de, Yahoo, MSN und GMX. Leider hat die IVW- mit der Agof-Liste nicht viel zu tun. Wem glaubt den nun der schlaue Werber?

Page-Impressions bekommt er so ziemlich zeitgleich, die Agof-Zahlen sind aufgrund der komplizierten Erhebung oft einige Monate alt. Aber um Tempo geht es hier weniger als um die Qualität der Aussage - und da hat die Agof die Nase vorn, denn die Erfahrung lehrt, dass sich Klickzahlen manipulieren lassen. Immer wieder gibt es den Vorwurf an Online-Nachrichtenredaktionen, dass sie einerseits mit Fotogalerien die Klickzahlen hochjazzen und andererseits bei Google Anzeigen mit Suchbegriffen kaufen, die für Verkehr auf ihren Seiten sorgen. Zudem kriegt das Internet gerade Beine und bringt ständig mehr laufende Bilder. Klicks sagen über die tatsächliche Nutzung von Internet-TV, Podcasts und automatisch ablaufenden Slideshows wenig aus.

Warum machen wir die Reichweitenmessung dann nicht gleich wie beim Fernsehen? Diese berechtigte Frage haben sich die Marktforscher von Nielsen Netratings auch schon gestellt. Das Ergebnis ist ein dritter Standard, "total minutes" genannt. Nielsen erhebt seine Daten, indem die Forscher ein Panel von 5 000 Internetnutzern beim Surfen beobachten, um so die Attraktivität der einzelnen Sites festzustellen. Ihre Liste der besten Onlineanbieter sieht so aus: Google, Microsoft mit seiner Marke MSN, Ebay, T-Online sowie GMX und Web.de.

Das Netz wird immer fernsehlastiger, und deswegen erscheint die Verweildauer als Messinstrument am Ende am überzeugendsten. Kritiker gibt es allerdings auch dazu: Wer nun online Schach- und Skatpartien anbietet, jagt die Nutzungszeiten hoch, was aber noch lange nicht heißt, dass die Site überproportional intensiv genutzt wird.

Also was denn nun? Wir ahnten es bereits: In der virtuellen Welt geht's zu wie in der realen: Standards gelten immer nur für den, dem sie nutzen.

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