Größenvorteile nutzen
Der Feminismus ist ein weitgehend abgeschlossenes Projekt. Die Moderne kennt Kanzlerinnen, Dirigentinen, Verfassungsrichterinnen und Neuro-Chirurginnen. Die obere Konzernwelt, die letzte Bastion des Testosterons, wird nun auch geschleift und in immer mehr Ländern per Gesetz zu weiblichen Quoten-Aufsichtsräten gezwungen. Mission erfüllt.
Ausgerechnet in der Modeindustrie jedoch wird die Mehrheit der Frauen nach wie vor marginalisiert. Auf dem Laufsteg, in den Fotostrecken der einschlägigen Magazine und den Werbekampagnen der Designer finden sich fast nur extrem dünne, junge Frauen. Wie diese „photogeshoppten“ Kleiderständer sieht jedoch kaum ein Promille der real existierenden Damenwelt aus. Die meist getragene Größe ist 42, und massenhaft Frauen ist auch das zu eng oder zu kurz.
Die weibliche Welt ist jedoch nicht nur mehrheitlich kurvig, sondern offenbar auch masochistisch veranlagt, denn bislang nimmt sie das Diktat der Designer einfach hin und geißelt sich: Studien zufolge fordern 40 Prozent der Mütter ihre heranwachsenden Töchter auf, Diät zu halten – selbst wenn die Kinder Normalgewicht auf die Waage bringen. Das prägt, und so sagt jedes zweite befragte zehnjährige Mädchen, dass es auf Hungerkur ein besseres Selbstwertgefühl habe. Mit 25 geben zwei Drittel der Frauen an, sie wären lieber dumm oder gemein als dick – und im Ergebnis kämpfen weltweit Millionen mit Eß-Störungen.
Inzwischen bricht sich jedoch auch eine andere Reaktion Bahn: Sei rund, gesund und glücklich – und rede darüber. Die Plattform dafür ist, wie für so vieles, das Internet. Der älteste und bekannteste Blog zur Sache ist „Fatshionista“, eine Site für Übergewichtige, die nicht nur modische Fragen diskutiert, sondern auch sozialpolitische. Lesley Kinzel, die 150-Kilo-Frau hinter dem Blog, kriegt zunehmend Gesellschaft: die fat-o-sphere wächst, die Blogs dazu heißen „Manfattan Project“, „Frocks and Frou Frou“, „Musings of a Fatshionista“ oder „Shapely Prose“. Sie platzen nur so vor Wortwitz und Stilempfinden, das irrste jedoch sind all die Fotos von modebewussten Frauen mit Holz vor der Hütte. Mann wird nicht jede Shorts und nicht jede pinke Strumpfhose gut finden, die da über den Pölsterchen spannt, sich aber dennoch über die vielen kreativen Ladies freuen, die selbstbewusst mit ihren Pfunden wuchern.
Die Lebensäußerungen dieser runden Frauen in grandiosen Outfits machen dem Betrachter auch gleich ein paar Merkwürdigkeiten bewusst. Erstens: Unser Körperideal ist von den Vorstellungen einiger selbsternannter, übrigens oft homosexueller, Geschmacksgurus geprägt, die bestimmen, wie Frauen auszusehen haben, damit sie als „hübsch“ durchgehen. Zweitens: Eine gigantische Anzahl Leute kann oder will damit nichts anfangen. Kaum eine ist ewig 20 und wiegt 50 Kilo bei mindestens 1.80 Metern Länge. Drittens: Körperimage ist das letzte feministische Thema des Westens mit Sprengkraft. Die Frauen betonen ihre Individualität und wollen nicht mehr Objekt sein. Viertens: Enorme Kaufkraft findet für ihre Kreditkarte kaum ein Ziel. Die häufigste Klage auf den Moppel-Sites lautet, wie beschränkt die Auswahl für Rubensfiguren ist, die keine Kittelschürzen mögen.
Sie werden neuerdings gehört. Angesichts immer neuer Statistiken, was Menschen tatsächlich wiegen, kommen die ersten vorsichtigen Versuche, den üblichen Hungerhaken der Modewelt das pralle Leben gegenüber zu stellen. Das amerikanische „Glamour“ Magazin zeigt neuerdings Mode in Übergrößen, die Bibel der Modewelt, das Magazin „V“ legte im Januar eine „Size“-Ausgabe vor und selbst unsere gute alte „Brigitte“ arbeitet nur noch mit Normalo-Frauen, wie zuvor schon der Kosmetikhersteller Dove. Aber mal abgesehen von der Ulla Popken XXL-Kollektion, setzte bislang kaum ein Mode-Label auf Frauen von Format.
Das ändert sich gerade. Auf der jüngsten Düsseldorfer Modemesse stellten 20 Labels unter dem Namen „Big is beautiful“ aus. Soviel Übergröße gab’s noch nie. Leider fand die überfällige Verneigung vor der Verbraucherin in Halle elf zusammen mit der Umstandsmode statt, was letzten Endes doch nur wieder zeigt, dass großzügige Mode immer noch als „Spezialfall“ gilt – und nicht als Angebot für die real existierende Frau. Dabei lautet die Erkenntnis doch eindeutig: Wer Größenvorteile nutzt, wird auf die Dauer bessere Geschäfte machen.