Leben in interessanten Zeiten
Weihnachten droht und für viele ist das die einzige Zeit im Jahr, in der sie lieber auf einer einsamen Insel wären als im eigenen Leben. Das ist nicht nur dem miesen Wetter in Deutschland geschuldet, sondern auch dem Konsum-Marathon, der für viele mit der Frage einhergeht, ob sie sich das Geschenk, das sie dieses Jahr vom Ehegespons kriegen, überhaupt leisten können.
Viel erholsamer, als sich selbst ins Getümmel der Einkaufszentren zu werfen, ist die Überlegung, was wohl andere im neuen Jahr gerne erstehen würden: Welche Konsumenten-Trends könnten die Marketingszene in Zukunft beschäftigen? Wohl war, Prognosen sind wie ein Versuch, an der Börse reich zu werden. Die meisten Einschätzungen der meisten Leute liegen leider daneben. Wäre es anders, wären wir alle reich.
Fest steht, dass 2010 noch ein spannendes Jahr wird, in dem Sinn, in dem die Chinesen ihren schlimmsten Feinden wünschen, sie mögen in „interessanten“ Zeiten leben. Die Krise ist nur halb ausgestanden und weite Teile der Bevölkerung haben die damit einhergehenden Ängste noch weniger verdaut. Entsprechend gewachsen ist das Misstrauen gegenüber „der Wirtschaft“ und der „Masse der grauen Anzugträger mit Dollarzeichen in den Augen“. Unternehmen, die sich positiv differenzieren wollen, müssen mehr tun, als den jährlichen CSR-Bericht zu drucken und die Einweg-Beschallung zu betreiben, die auch als klassische Werbung bekannt ist. Ein ehrlicher Diskurs kommt besser an.
Schon weil Nachhaltigkeit ein Megatrend bleibt und wer es Konsumenten erleichtert, das Richtige zu tun, hat in diesen Zeiten auf alle Fälle die Nase vorn. Im Übrigen kann auch eine Vorbereitung auf administrative Eingriffe nicht schaden: Frankreich will eine Emissionssteuer in Höhe von 17 Euro pro Tonne CO2 einführen, in Australien verbieten Kommunen den Verkauf von Plastikflaschen, Mexico City untersagt die Nutzung von Einkaufstüten, die nicht biologisch abbaubar sind.
Konsumenten finden das in der Regel gut, denn die Leute werden schon seit einigen Jahren immer kritischer und grüner. Das verstärkt sich noch durch die Urbanisierung der Welt. Seit 2008 wohnt jeder zweite Erdenbürger in einer Stadt und die UNO schätzt, dass 2050 nur noch drei von zehn Menschen auf dem Land leben. Das prägt vor allem sich entwickelnde Regionen mit junger Bevölkerung und führt zu größeren urbanen, gut informierten und experimentierfreudigen Konsumentengruppen. Erfolgreiche Innovationen für internationale Massenmärkte müssen also in erster Linie eine kompakte, relativ einkommensstarke, vernetzte Szene in den Metropolen ansprechen.
Die neuen Städter machen wenig Federlesen mit dem Luxusbegriff. Begehrenswert ist alles, was rar ist – und Rarität definiert der Nutzer. Für Leute, die in Millionenstädten auf engstem Raum aufeinander sitzen, ist Luxus nicht unbedingt „das teuerste“ und schon gar nicht „das größte“, vielleicht nicht einmal mehr ein Ding, sondern stattdessen alles, was einzigartig macht und Individualität verspricht. Also Zugang zu exklusiven Clubs, Geschäften und Communities, limitierten Auflagen oder restriktiv verteilten Informationen. Genauso werden hochgradig personalisierte Serviceleistungen und Warenangebote funktionieren, für deren Erwerb man einen Termin haben muss. Daneben alles, was Platz spart und Privatsphäre verspricht.
In einer Welt, in der alle alles überall haben können, boomen traditionelle Produkte, die es nur in einer bestimmten Region gibt. Viele traditionelle Luxusgüter hingegen werden bald als „zu“ gelten: zu verbreitet, zu wenig umweltfreundlich, zu erreichbar oder einfach auch nur: zu bekannt, um noch cool zu sein.
Menschen sind Herdentieren und daher sind in einer immer stärker online dominierten Gegenwart nun wieder „warme Körper“ angesagt. Produkte also, die es nur im echten Spezialgeschäft gibt nach Diskurs des Kenners mit einem Verkäufer. Magie entwickeln auch Orte, an denen Leute sich treffen, um einer gemeinsamen Leidenschaft zu huldigen. In vielen Städten sind beispielsweise sogenannte Community Gardens schwer angesagt, also grüne Oasen, wo Nachbarn organisches Gemüse ziehen oder einfach nur einen Schwatz halten. Das Netz der Zukunft wird vor allem dazu dienen, die Offline-Zeit besser zu nutzen und mit Tools wie Google Latitude herauszufinden, wo Freunde gerade shoppen, feiern oder chillen. Die Welt wird wärmer (nicht nur klimatisch!) und persönlicher. In diesem Sinne: Frohes Neues!