Bio: Nicht gutes Gewissen, sondern Lifestyle
Das neue Jahr ist nun alt genug, um eine erste Bilanz zu ziehen. Wie fast jedes begann auch dieses Jahr mit Rekorden. Nach den Feiertagen erreichte die Anzahl der Besuche beim Scheidungsanwalt ungeahnte Höhen, ebenso wie die Zahl der gebrochenen Vorsätze und die der Kilos auf der Waage. Die Katerstimmung ist ebenfalls rekordverdächtig, und entsprechend beliebt sind sogenannte Gesundheits-, Entgiftungs- oder Detox-Drinks in den ersten Monaten des Jahres.
Tahitian Noni, der Hersteller von Hiro Drinks, beispielsweise meldet, es gebe überhaupt nur ganz wenige "Unternehmen in der neueren Geschichte, die mit dem Hyperwachstum von Tahitian Noni mithalten können". Selbst Konzerne wie Pepsi oder Coca-Cola hätten in den ersten Jahren ihrer Geschäftstätigkeit "nicht ansatzweise unseren Umsatz" erzielen können. In Deutschland und weiteren 70 Ländern sind mehrere Hiro Drinks mit ,Noni' erhältlich, einem muffig schmeckenden Saft, dessen viel gepriesene Wirkkraft nicht bewiesen ist. Doch das tut der Gesundheit des Anbieters keinen Abbruch.
Unschuld ist Programm für den britischen Marktführer für sogenannte Smoothies, also Fruchtdrinks. Auf der deutschen Homepage von Innocent Drinks steht: "Wir versprechen dir, dass unsere Smoothies nur aus puren Früchten hergestellt werden und keine Konservierungsstoffe, Konzentrate, Zuckerzusätze oder anderen komischen Kram enthalten. Und wir versprechen, dass wir beim Kartenspielen nicht schummeln. Sonst kannst du es unseren Müttern verraten." Nachtigall, ick hör dir trapsen: Wenn einer schon beteuern muss, dass er nicht schummelt ... Aber wir wollen ja nicht kleinlich sein.
Wer beim Ausnüchtern eher auf Bewährtes steht, kommt auch auf seine Kosten. "Diet Coke Plus" - garantiert ohne Zucker, aber mit Mineralien und Vitaminen - muss in Deutschland über spezielle US-Food-Homepages bestellt werden, doch das französische Evian gibt's an jeder Ecke. "Detox Evian", das neueste Entgiftungsprogramm lautet dort ganz einfach: sechs Wochen lang jeden Tag zwei Liter Wasser trinken. Nich irgendeines, Evian.
Früher war die Welt besser, übersichtlicher. Vor 20 Jahren war es geradezu elitär, sich in Parka und Palästinensertuch zu werfen, um auf dem Bauernmarkt biologisch-dynamische Milch zu kaufen. Für teures Geld gab's da neben Käfern in der Dose mit dem Yogi-Tee das warme Gefühl, die Welt zu retten.
Dieses Minderheitenprogramm für politisch Bewusste ist jedoch passé, Bio-Lebensmittel und Gesundheitsdrinks sind inzwischen im bürgerlichen Alltag angekommen und da so normal wie alkoholreduziertes Bier und Kaffee aus der dritten Welt.
Derweil ging die Bewusstseins-Industrie unbemerkt in Konkurs, denn am Ende wollen die Menschen mit dem ganzen Nachhaltigkeits-trend nämlich nicht der Welt etwas Gutes tun, sondern sich selber. Ziel ist nicht eine Reform der Landwirtschaft, sondern bestenfalls die der eigenen Leber.
Folgerichtig beherrscht Branding nun auch den grünen Markt, und die Leute kaufen sich mit der Vorsilbe "Bio" nicht mehr gutes Gewissen, sondern Lifestyle. Öko ist einfach eine Imagefrage, denn mit all den ungesunden Dickmachern können sich die besseren Stände nicht mehr sehen lassen.
Die Botschaft ist klar: Wer Suffköpfen Entgiftungskuren verkaufen will oder Sofakartoffeln Fitnessdrinks, sollte nichts Verhärmtes im Sinne von "unser Produkt ist weniger schädlich" fabrizieren, sondern fröhlich krähen: "Wenn du gesündigt hast, bleibst du mit uns trotzdem länger schön und jung ..."
Die Wirkung des richtigen Tons zeigt der Fall Bionade. Die Produktion des chemiefreien Erfrischungsgetränks startete schon lange vor dem Trend - und war eigentlich nur gedacht, um einer in Schieflage geratenen Brauerei wieder auf die Beine zu helfen. Entsprechend wackelig war jahrelang der Absatz, bis der Familienbetrieb verstanden hatte, das Bionade nicht nur ein Produkt unter vielen, sondern vor allem eine Marke zu sein hat. Nicht als Wässerchen für lustfeindliche Gesundheitsapostel muss das Zeug beworben werden, sondern als witzige, heimische Alternative zu den Kalorienbomben der internationalen Softdrinkhersteller.
Gesagt, getan, und so entstand eine virale Marketingstrategie, die vor allem aufs Internet und das Sponsoring von Medien- und Studentenfeten setzte. Dass die Hersteller nicht schummeln - auch nicht beim Kartenspielen - muss dabei nirgendwo betont werden. Bionade wird ganz einfach nach deutschem Reinheitsgebot gebraut, und so wurden aus zwei Millionen verkauften Flaschen im Jahr 2002 rund 200 Millionen Stück 2007. Das ist zur Abwechslung mal ein netter Rekord.