Wo Menschen herumsitzen und warten, entsteht ein Markt

Von Peter Littmann

Viel beschäftigte Leute brauchen einen Personal Shopper. Das sind Herrschaften, die gegen Geld für andere einkaufen. Erstens haben sie eine Liste mit Daten: Geburtstage von Familie, Freunden und Sekretärin, Hochzeitstag und andere wichtige Termine, zu denen Präsente fällig werden. Zweitens kennen sie sich aus und besorgen auch für den Chef, was der Mensch sonst noch so braucht: Krawatten, Socken, Smokinghemden, Manschettenknöpfe. Sehr praktisch!


Das Zweitbeste nach einem Personal Shopper sind gut sortierte Flughäfen. Wann hat Herr Wichtig sonst schon mal eine Stunde Zeit, in aller Ruhe das Warenangebot zu inspizieren, sich selber einen neuen Gürtel zu gönnen und eine Uhr für Frau Wichtigs Wiegenfest auszusuchen? Außerdem lassen sich da die neuesten Gadgets in Augenschein nehmen, und so manch einer war erst nach einem Business-Trip in der Lage, mit Sohnemann die Vorzüge der neuesten Spielekonsole zu diskutieren.

Flughafengesellschaften wie Frankfurt, Schiphol oder Heathrow wissen das, und es bleibt abzuwarten, wann sie den Begriff Shopping Mall zu ihrem Namen addieren. Heathrow beispielsweise: Knapp 68 Millionen Fluggäste kaufen dort im Jahr irgendwas, vier von zehn dieser Kunden sind auf Geschäftsreise. Die Einkäufe werden übrigens gerne auch geliefert: wahlweise nach Hause oder ins Büro.

Londoner Fashion Victims raunen sich gegenseitig einen Tipp zu, wenn bestimmte Artikel in der Stadt ausverkauft sind: Für Lederwaren geht es dann zu Mulberry oder Smythson und für Klamotten zu Chloé oder Marc Jacobs am Flughafen. Auch Leute, die auf kleinem Fuß leben, steuern Heathrows Terminal One an: Bei LK Bennett gibt es Markenschuhe in kleinen Größen - vermutlich, weil an den Flughäfen so viele von den zierlich gebauten Asiaten einkaufen.

Alkohol und Zigaretten laufen am besten, dicht gefolgt von Parfum und Kosmetik. World Duty Free - der Betreiber vieler Flughäfenläden im Königreich - verkauft in jeder Minute, die der Herr werden lässt, einen Lipgloss, ähnlich häufig geht Chanel No 5 über den Tresen, der Abdeckstift Radiant Touch von YSL wird alle elf Sekunden aus dem Regal genommen, alle drei Minuten wechselt eine Sonnenbrille den Besitzer.

Entsprechend heben die flugunabhängigen Umsätze pro Passagier ab, wie eine Untersuchung der Beratung AT Kearney ergab: In München lagen sie 2005 bei über zwölf Euro, Zürich, Oslo und Frankfurt liegen etwas dahinter. In der Konsequenz macht der Franz-Josef-Strauss-Flughafen die Hälfte seines Umsatzes aus so genannter Non-Aviation, also aus Mieten, Pacht und Umsatzbeteiligungen an Parkplätzen, Restaurants und Läden.

Dass München die Nase vorn hat, liegt nicht nur an der viel fliegenden und einkommensstarken "Mir san a dabei"-Gesellschaft von der Maximilianstrasse, sondern daran, dass die Investoren beim Ausbau von Terminal II auf die neuesten Trends setzten und das Ding gleich als Shopping- und Gastronomie-Arkade mit 15 900 Quadratmeter Nutzfläche hinstellten. Das Ganze wird im Winter mit Weihnachtsmarkt und im Sommer mit Beachvolleyball-Turnieren bespielt. Zu Sportgroßereignissen werden Leinwand, Tribüne und Sitzplätze aufgestellt, und das Bier fließt nur so.

Mit solchen Verrenkungen begeben sich die Flughäfen weit neben ihr Kerngeschäft. Das geschieht nicht unbedingt, weil ihr Management den Duft von Chanel No 5 sexier findet als den von Kerosin, sondern weil das traditionelle Geschäft unter Druck ist: Die Airlines gehen dahin, wo die Abfertigungskosten am geringsten sind, und dieser Preiskampf beginnt, die einst so üppigen Margen aufzufressen.

Ob sie wollen oder nicht: Die Herren der Lüfte werden immer mehr zu Verwaltern von sehr irdischen Konsumwelten. Das geht so weit, dass der amerikanische Komiker Jerry Seinfeld mit der Theorie operiert, dass die ganze Fliegerei nur ein Schwindel sei, erfunden, um Reisenden Thunfisch-Sandwiches zu Mondpreisen zu verkaufen.

Doch die Botschaft ist eigentlich eine andere: Überall sind Kunden. Wo immer viele Menschen zusammenkommen und besser noch: herumsitzen und warten, kann ein Markt entstehen - wie seinerzeit im Mittelalter an Flussfurten oder Kreuzungen wichtiger Verkehrswege. Hinzu kommt die Lust der Moderne an Freizeit, Erlebnis und nicht zu vergessen: Bequemlichkeit. Wenn es in Sachen Komfort für den Personal Shopper nicht ganz reicht, muss eben der Airport herhalten.

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