Zurück in die Toplagen der Innenstädte

Von Peter Littmann

Das Saysche Theorem behauptet, jedes Angebot schaffe sich selbst seine Nachfrage. Das klingt wie Hohn in den Ohren von Menschen, die schon mal mit einer Geschäftsidee baden gegangen sind. Und "Bratwurst mit Schlagsahne" wird wohl selbst bei ausdauerndem Angebot keine allzu große Nachfrage generieren.


Ähnlich rätselhaft sind Standorte. Warum funktioniert ein Quartier gar nicht, obwohl es rechts und links brummt? Warum bekommt in einer Stadt eine Ecke plötzlich Dynamik, obwohl da jahrelang nur der Pleitegeier hauste?

Beispiel Berlin. In den 80er-Jahren galt der Ku'damm als völlig out. Die Locations auf der direkt angrenzenden Fasanenstraße waren hingegen schwer angesagt. Cartier und Bulgari residierten hier und zogen andere Luxusmarken nach. Heute jedoch sind Chanel, Gucci und Cartier auf der Fasanenstraße nicht mehr zu finden. Alle zogen sie zurück auf den Ku'damm: Inzwischen sitzt zwischen Knesebeckstraße und Olivaer Platz, wer Glanz und Gloria hat.

Dasselbe Bild in London oder Paris. Die Champs-Élyseés, einst die Avenue der Reichen und Schönen, war gegen Ende des vergangenen Jahrhunderts nur mehr Heimstatt für Kinos, Fastfood und Tristesse. Das nobelste Geschäft weit und breit war der Megastore von Disney. Doch 1998 zog Louis Vuitton an die Ecke Champs-Élyseés und Avenue George V. Heute sitzen Hugo Boss, Cartier, Lancel, Adidas und viele andere umsatzträchtige Labels wieder auf der Flaniermeile, als wäre nie was gewesen.

Ähnliches passierte in Ihrer Majestät Hauptstadt: Die Regent Street gewinnt früheren Ruhm zurück als eines von Europas wichtigsten Einkaufspflastern. Wenn irgendwo - wie hier - ein Apple-Store aufmacht, in dem der iPod wie in einer Kunstausstellung präsentiert wird, steht fest: Die Gegend ist "up and coming".

Diese merkwürdige Alchimie - aus Gold wird Blech und dann wieder Gold - hat verschiedene Gründe. Aus den ursprünglich kleinen feinen Boutiquen sind heute große Flagshipstores geworden, die schon rein platzmäßig nicht in die zuletzt modischen engeren Viertel passen und deswegen wieder auf die leicht grau melierten traditionellen Boulevards wandern.

Hinzu kommt, dass die einst so öden Innenstädte per se wieder als spannend gelten: Die Gesellschaft ändert sich. Immer mehr Menschen leben in Singlehaushalten. Mit dem Siegeszug der Dienstleistungsökonomie entstehen in den Stadtkernen wieder gut- und bestbezahlte Jobs, die Wohn- und Shoppingformen passen sich dem an. Einst zog es den Handel in die Shopping Mall am Ende der Welt, doch das ist ebenso passé wie der Drang der Menschen in die Speckgürtel außerhalb der urbanen Zentren.

Erstaunlich daran ist eigentlich nur, dass die modernen Tempel des Konsums in der Stadtentwicklung fast die Rolle von Kirchen übernehmen: Früher entstanden lebendige Stadtzentren tatsächlich im Schatten von Domgemäuer. Heute sind dazu nur noch säkulare Kathedralen in der Lage.

Nach dem Fall des eisernen Vorhangs schufen Louis Vuitton und Hermès gemeinsam den Nukleus für ein neues Cluster des Luxus an der vormals stillen Prager Parížska ulice. Ähnliches passierte auf der Váci utca in Budapest.

Ein regelrechtes Viertel haben die Luxuskonzerne in Tokios Omotesando geschaffen, eigentlich nur eine Baumallee zwischen dem konservativen Büroviertel und dem jungen, trendstarken Harajuku-Viertel. Zuerst kam Vuitton, dann Tod's mit Flagshipstores. Es folgten Dior, Prada, Hermès und Chanel mit teilweise riesigen, von namhaften Architekten sündteuer gestalteten Türmen des Kapitalismus.

Und in Deutschland? Entgegen dem Trend werden hier zu Lande immer noch jede Menge Einkaufscenter auf der grünen Wiese fernab der Stadtzentren genehmigt. Das führt zu seltsamen Paradoxien: Nach wie vor gibt es eher zu viele Einzelhandelsflächen, deren Produktivität auch noch ein Drittel unter der liegt, die beispielsweise in Großbritannien zu erzielen ist.

In die innenstädtischen Toplagen drängen aber nicht nur die Luxusmarken, sondern auch Douglas, Christ, H&M oder Zara. Deswegen sind die begehrten Adressen entsprechend umkämpft und teuer - selbst wenn sich die Meinung, welche denn nun genau dazu gehört, immer mal wieder ändert.

Im Ergebnis residiert nun Louis Vuitton auf Düsseldorfs Kö direkt neben Hallhuber und Gucci neben Starbucks. Offenbar hat der französische Ökonom Jean-Baptiste Say doch Recht mit seinem Theorem: Bratwurst und Schlagsahne schaffen sich durchaus ihre Nachfrage - vielleicht nicht zusammen, aber gleichzeitig.

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