Kurven, die den Marktwert steigern

Von Peter Littmann

Vor einigen Monaten haben wir hier die folgenden Fragen begrübelt: Können wir in einer in Schönheit verliebten, aber alternden Gesellschaft mehr Käufer finden, wenn unser Auftritt realistischer wird? Oder wollen die Leute, dass man ihnen ewige Jugend verspricht, selbst wenn das gelogen ist?


Die eine Fraktion sagt: Gerade Frauen - die schließlich 80 Prozent aller Konsumgüterkäufe tätigen - reagieren positiv, wenn man ihnen ehrlich das Gute vor Augen führt, das sie tatsächlich besitzen, anstatt ewig ihre Minderwertigkeitskomplexe auszubeuten.

Das andere Lager hingegen meint: Durchschnittsfrauen zu sagen, sie seien schön, zaubert ihnen vielleicht kurzfristig ein Lächeln ins Gesicht, aber davon klingelt noch keine Kasse.

Anlass dafür war damals die weltweite Kampagne des Kosmetiklabels Dove, in der nicht Supermodels, sondern ganz normal hübsche, ganz normal runde Frauen sich über schöne Haut freuen. Inklusive Sommersprossen, Falten und Babystreifen. Die Kampagne - die übrigens in Europa startete, bevor sich die Amerikaner damit in ihr Beauty besessenes Heimatland trauten - löste heftige Diskussionen aus. Kaufen die Leute lieber Illusionen? Oder wollen sie ernst genommen werden mit einer realistischen Weltsicht?

Inzwischen gibt es Antworten! Landor, eine Marken- und Designberatung aus San Francisco, die zur WPP Young & Rubicam gehört, untersuchte, welche Brands zwischen 2002 und 2005 den meisten Mehrwert geschaffen haben. Dove liegt auf Platz neun mit einem Plus von 1,2 Mrd. Dollar an Markenwert. Neben Markenimage und -bekanntheit haben die Experten vor allem die Finanzkennzahlen der Hersteller analysiert sowie Umsatz, Profitabilität und Marktanteil.

Von den 2 000 untersuchten Marken hat rund die Hälfte in den vergangenen drei Jahren an Wert eingebüßt - welche am meisten, wird leider nicht publiziert. Diejenigen Labels, die wertvoller wurden, taten das in der großen Mehrheit nur um winzige Schrittchen.

Insofern haben die ersten zehn auf der Positivliste echt was geschafft, und das sollte zu denken geben. Unter den Gewinnern sind neben Dove noch das Online-Auktionshaus eBay (plus 22,5 Mrd.) und iPod Unterhaltungsgeräte (plus 4,5 Mrd Dollar) und sogar Robitussin, ein Hustensaft (plus 51 Mill).

Hayes Roth, Marketingvorstand bei Landor, kommt deswegen zu dem Schluss: "Heute dreht sich alles um Vertrauen, um Community und darum, mit dem Verbraucher in einen Dialog zu treten, bei dem echte Information ausgetauscht wird."

Der Blick auf die Gewinner bestätigt diese Einsicht. Dove erforschte, wie Frauen die gängigen Schönheitsideale empfinden, und reagierte auf die unübersehbare Frustration. Die Kampagne "for real beauty" platzierte den Hersteller glaubhaft als Anwalt für weibliche Selbstachtung und schuf so Vertrauen.

Apple setzt mit dem iPod ganz deutlich auf Community und die Fähigkeit, jungen Leuten online ein ganzes virtuelles Universum aus Musik zu bieten. Hinzu kommt ein neues Ladenkonzept, das den Kunden erlaubt, an frei zugänglichen Geräten herumzuspielen und zu experimentieren.

Robitussin schließlich vertraut auf Dialog. Statt wie die meisten Pharmamarken auf Testimonials von Ärzten zu setzen, die dem geneigten Verbraucher das Produkt pseudo-wissenschaftlich verbrämt anpreisen, wurde in den USA das Packungsdesign radikal verändert. Heute findet sich da eine Checkliste mit Symptomen, die signalisiert, welcher der erhältlichen Sirups für die individuelle Form des Hustens der richtige ist.

Ganz offenbar funktioniert der Marketingansatz "Welche Botschaft können wir herausposaunen, damit wir möglichst gut aussehen?" nur noch bedingt. Gefragt ist vielmehr: "Wie kriegen wir tatsächlich eine ehrliche Verbindung zu den Leuten?" Die sind schließlich besser informiert als je zuvor und zunehmend ungeduldig, wenn sie ein Marketingkonzept für dumm verkauft oder wie unmündige Kinder behandelt.

Es mag also sein, dass der derzeit laufende Versuch, übermäßig dürre Models von den Laufstegen zu kicken, eine gute Idee ist. Nicht nur wegen der echten Kerle, die Freude an weiblichen Rundungen haben, oder wegen der Teenager, die vor falschen Vorbildern und Essstörungen bewahrt werden sollen, sondern aus rein geschäftlichen Gründen. Bei Dove sind schließlich nicht nur die Kurven der gezeigten Modelle gewaltig gewachsen, sondern auch die der Umsätze.

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