Salz - ein verlorenes Kulturgut

Von Peter Littmann

Frischer Seefisch vom Grill, gewürzt mit Salz, Olivenöl, Zitrone und Petersilie - eine Köstlichkeit. Ob auch Knoblauch und Pfeffer dazugehören, darüber streiten sich in Sizilien die Familien. Sicher ist jedoch: Ohne Salz geht gar nichts. Gebraucht wird zum Beispiel das von Ravida aus Trapani, das aus dem Meer gewonnen und in den heißen Monaten traditionell in der Sonne getrocknet wird. Es ist ein wenig feucht, fast ein wenig süßlich und einfach perfekt für eine sommerlich-leichte Mittelmeerküche.


Wunderbares Meersalz gibt es an vielen Orten. Das beliebteste, das Fleur de Sel, kommt aus der Guérande oder der Camargue. An der bretonischen Küste entsteht ein grauer Stoff, der aus simplem Gemüse eine Delikatesse macht, sofern man das Grünzeug nicht zu weich gart. Sogar die Engländer produzieren trotz ihres in kulinarischen Fragen angeschlagenen Rufs schöne Sachen. Maldon Crystal aus Essex ist ein Naturprodukt ohne die Bleich- und Trennmittel, die sich im Supermarktsteinsalz so häufig finden. Letzteres verwendet man am besten überhaupt nur zum Putzen des Tafelsilbers. Andere ordentliche Produkte heißen Marisol, Halen Môn, Sal Martins, Le Paludier, Khoysan, Le Guérandais, Chef Stefan, La Baleine, Gusto Mundial Balearides, Piranske Soline, Le Saunier de Camargue, Quai Sud, Trésor de Sauniers, Hawaii Kai, Soul of the Sea, Sal de Ibiza. Es gibt mit Algen angereicherte Salze und über Eiche geräucherte.

Manche davon kosten um die 40 Euro pro Kilo. "Alles nur Marketingtheater!" schimpfen die Kritiker, "Salz ist am Ende doch nur Salz, jedes Jahr werden 200 Millionen Tonnen davon gewonnen, und das Zeug ist im Einzelhandel pfundweise für 69 Cent zu haben." Dazu kommt das Gejaule der Mediziner, weil ein Übermaß den Bluthochdruck fördert und dem Gesundheitswesen den Garaus macht. Dabei sollte uns das eigentlich nur motivieren, statt zu viel das richtige zu verwenden. Eben ein Produkt aus dem Meer, in dem Magnesium, Zink und andere wichtige Mineralien von Hause aus enthalten sind.

Zugegeben, die Preise sind gesalzen. Natürlich ist in ihnen auch jede Menge Marketinggeklingel enthalten sowie eine ordentliche Prise Angeberei seitens der Sterneköche. Ihr Gaumen kann halt so viel mehr erschmecken als der von Otto Löffelschwinger! Der ehrgeizige Hobbykoch kauft das alles mit und hofft, dass sein Osso bucco so nun auch Michelinsternverdächtig wird. Wohl wahr, Salz mit Preisen wie für Gold ins Nudelwasser zu kippen ist und bleibt eher albern. Einerseits.

Andererseits: Dem Ozean sein Wesen abzuringen ist harte Arbeit, und die will bezahlt sein. Außerdem war Salz immer schon einer der begehrtesten Rohstoffe der Erde. Es verlieh Macht, provozierte blutige Kriege und machte aus einfachen Kaufleuten Handelsbarone. Bevor in den Bergen die Steinsalze entdeckt wurden, war das "weiße Gold" im Landesinneren rar. Das ist aber nur ein Grund, der Salz so wertvoll machte. Der andere ist: Ohne kann der Mensch nicht leben. Es spielt eine wesentliche Rolle im Wasserhaushalt, im Nervensystem und beim Knochenaufbau, mengenmäßig ist es der wichtigste Mineralstoff der menschlichen Ernährung.

Mindestens ein Gramm davon brauchen wir täglich. Deswegen galt Salz schon in der Antike als Göttergabe, und auch später inspirierte es viele Mythen. Mit Salz wurde Unheil vertrieben, mit Brot und Salz Gastfreundschaft besiegelt. Das Kulturgut, das Jahrhundertelang durch Kunst, Literatur und Religion geisterte, ist uns verloren gegangen. Wir hatten es fast vergessen, als große Köche anfingen, die Bedeutung des Salzes ins kollektive Gedächtnis zurückzurühren.

Wer also in der Küche in einen Holztiegel greift und dann gelassen zusieht, wie graue, rosa- oder cremefarbene Kristalle des Meeressalzes auf dem Steak oder in der Salatsoße sanft schmelzen, tut sich und seinen Gästen was Gutes, ebenso wie einer uralten Handwerkstradition. Hier geht es nicht um eine blöde Mode, sondern um das alte Wissen, das gutes Essen naturbelassen sein muss und mit Ruhe zubereitet. Marketing interessiert in dem Zusammenhang nun wirklich deutlich weniger als die Frage, wie der Grillfisch serviert gehört: Nur mit Salz oder etwa auch mit Pfeffer?

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