Augen vom Vater, Nase von der Mutter - Zähne vom Milchmann
Früher kriegte jeder englische Haushalt die Milch gebracht. Täglich stellte der Milchmann die Kanne vor die Tür. Das muss wissen, wer die legendäre britische Werbekampagne für Milch verstehen will, in der ein kleines Mädchen breit in die Kamera lacht. Der Slogan dazu lautet: "Augen von ihrem Vater, Nase von ihrer Mutter - und Zähne vom Milchmann." Andere Beispiele für den leicht exzentrischen Humor der Briten hätten in Deutschland Stürme der Entrüstung ausgelöst: Billigflieger Easy Jet warb beispielsweise mitten im Irak-Krieg mit dem Slogan "Discover the Weapons of Mass Distractions" für Ferienflüge ins Warme und spielte dabei mit der Ähnlichkeit der Begriffe für Zerstreuung (distraction) und Vernichtung (distruction) während die US-Truppen im Nahen Osten Sand fanden statt Massenvernichtungswaffen.
In einer Kampagne für ein Bier namens "Spitfire" kriegen es die Deutschen auf die Nase, erinnert der Name des Gesöffs doch zu einladend an das Kampfflugzeug aus dem Zweiten Weltkrieg. "No nazi aftertaste", was wie ein Tippfehler für "no nasty aftertaste" daherkommt und so viel heißen soll wie "kein fieser Nachgeschmack".
Die britische Aufsichtsbehörde Advertising Standards Authority bleibt in der Regel entspannt. Derartige Spielereien seien ein Teil der nationalen Kultur, ließ sie verlauten, die nicht unterdrückt werden sollte. Diese Gelassenheit ist löblich, denn die Bierwerbung kann man ja auch so sehen: Wir sollten die aus dem Bombenregen der Nazijahre gewachsenen Animositäten zwischen Tommies und Krauts endlich begraben: keine Ekligkeiten mehr zwischen den Völkern.
Zumindest theoretisch sind die Deutschen nämlich wahnsinnig humorvoll. Vor der Vergabe eines Etats studieren die verantwortlichen Marketingmanager die Kreativrankings der entsprechenden Fachzeitungen wie Mönche die Bibel. Schließlich hat sich herumgesprochen, dass Lachen Aufmerksamkeit erzeugt und Sympathie für den Absender weckt. Außerdem unterwandert ein wenig Ironie die Ablehnung vieler Verbraucher gegen die Selbstbeweihräucherung der werbetreibenden Industrie. Also pilgern nun neben den Kreativen auch die Werbeleiter von Konzernen wie Allianz, Volkswagen oder Telekom zum Internationalen Werbefestival in Cannes.
Doch leider konnten die deutschen Agenturen dieses Jahr da nicht recht überzeugen: In der klassischen Kategorie Film bringen sie dieses Jahr nur zwei Löwen mit nach Hause. "Das Ergebnis ist gerecht", lässt sich Frank Dopheide, der dieses Jahr die Deutschen in der Jury vertrat, von der Fachpresse zitieren: "Die meisten Agenturen haben den Humor aus den Augen verloren."
Es steht zu befürchten, dass dies nicht nur für die Agenturleute gilt. Denn gleichzeitig sind die meisten Kunden heute hochgradig nervös und wollen allen gefallen. Diese Geisteshaltung gebiert jedoch so viele Lacher wie die Lektüre einer Versicherungspolice. So ziemlich jede kreative Idee wird spätestens per Absicherungs-Marktforschung zu Tode geritten. Originelle Spots sind in Deutschland kaum zu verkaufen, was jeder weiß, der sich mal einen TV-Abend lang mit Werbung "Made in Germany" zu Tode gelangweilt hat.
Ach ja, der Vollständigkeit halber: Der Grand Prix von Cannes ging dieses Jahr nach London, zu Abbott Mead Vickers BBDO, für eine fröhliche Bierwerbung, in der sich Guinness-Trinker zu Sammy Davis jr. "Rhythm of Life" blitzschnell durch die Zeit in prähistorische Amphibienwesen zurückverwandeln.
Da draußen tobt ein Krieg um Aufmerksamkeit. Wer immer noch glaubt, der sei mit mäßigen Ideen zu gewinnen, solange er nur genug Geld hochhustet, um dem Verbraucher seine Botschaft mittels Frequenz in die Rübe zu hämmern, muss feststellen: So blöd sind die Leute nicht. Die nehmen nur noch wahr, was ihnen entweder spontan nutzt oder sie bewegt, erfreut, anregt, amüsiert.
Milchmann, Spitfire und irakische Massenvernichtungswaffen mögen News von gestern sein - Humor nach britischem Muster (und die damit verbundene Gelassenheit im Umgang mit den Fans politischer Korrektheit) haben hingegen Zukunft.