Von wegen Leiche: Das Internet ist putzmunter

Von Peter Littmann

Wer was auf sich hält, hat heute eine Gmail-Adresse - und sei es nur, um die fabulöse Werbung zu kriegen, die Google am Rande seines Service verkauft. Ein Freund schreibt uns vom Schneesturm in seinem Vorgebirge - und daneben dürfen wir Anzeigen bewundern, die uns Regenschirme verkaufen wollen, die nicht tropfen. Jemand anderes schickt politisch völlig unkorrekte Witze, und dazu wirbt einer für den Abo-Service, über den er uns täglich einen positiven Gedanken schicken will.

Neben der weitergeleiteten Telefonnummer preist einer sein Geheimwissen in Numerologie und Tarot Über das alles kann man natürlich geifern, aber wir meinen: Man sollte sich freuen, dass die Welt ein derart bunter Zoo ist. So entstehen nämlich Arbeitsplätze. Ebay schuf eine Reihe von kleinen Unternehmen. Einmal solche, die ihre Ware ausschließlich über das Auktionshaus vertreiben und dann auch die Ladengeschäfte, wo Internetungeübte ihren Krimskrams abliefern können, die das Lädchen dann im Netz vertickt - gegen Honorar versteht sich. Ähnliche Cluster schufen auch Google und Yahoo: Eine ganze Reihe von Marketingspezialisten tun nichts anderes, als ihre Kunden darin zu beraten, wie man Suchmaschinen als Werbetool benutzt.

Dabei gibt es zwei Varianten, die "bezahlte" und die "organische": Bei ersterer kauft das Unternehmen Insertionen, die bei der Suche nach bestimmten Schlüsselbegriffen neben der eigentlich Recherche erscheinen. Bei letzterer werden die Werbeeinträge so optimiert, dass sie automatisch und wie von selber in den regulären Suchergebnissen auftauchen - möglichst weit oben auf der Liste, versteht sich. In anderen Worten: "Bezahlt" ist wie "Werbung", "organisch" ist quasi "PR". Bislang dominiert die Werbeform, weil sie die Platzierung garantiert, die PR-Variante holt aber eilig auf, weil sie wirksamer ist. Alles in allem ist das in den USA allein schon ein Geschäft mit einem Volumen von über 2,5 Milliarden Dollar.

Doch der Höhenflug birgt den Fall schon in sich: Der Platz für Suchergebnisse und Anzeigen ist nicht größer als der Bildschirm erlaubt! Kreativität ist also gefragt, und inzwischen sind auch online herunterzuladende oder gleich ganz dort gespielte Video-Games eine beliebte Plattform, etwa durch in der Szenerie auftauchende Werbewände oder sogar einen ins Spiel eingebauten Besuch beispielsweise bei McDonald's. Die neueste Generation Spiel ist jederzeit veränderlich: Wo in einer Runde nachmittags um zwei der Spieler eine Dose Coca-Cola aufheben muss, liegt vielleicht abends um acht eine Dose Beck's Bier herum - ganz davon abhängig, welches Unternehmen zu welcher Tageszeit Werbeblocks gekauft hat.

Totgesagte leben länger. Nachdem die Internetblase an den Börsen geplatzt war, hieß es, Onlinewerbung wäre mega-out. Das war sie auch, zumindest, was die Banner und Pop-ups angeht. Ihren Untergangspredigern zum Trotz dreht die Welt sich jedoch einfach weiter.

In den 90er-Jahren hieß es auch, das Internet werde den Einzelhandel umbringen. Eine Dekade später wollen die Leute immer noch Kleider anprobieren, Stoffe befühlen, in Büchern blättern und Parfums schnuppern. Mal ganz davon abgesehen, dass Shopping heute mehr denn je ein Hobby und eine soziale Erfahrung ist. Folglich steht das Netz immer noch bloß für rund drei Prozent der Handelsumsätze.

Trotzdem hat es den Einzelhandel verändert. Das typische Einkaufszentrum wird mehr zum Lifestyle-Angebot. Wo einst die großen Handelsketten in riesigen Komplexen dominierten, bilden sich jetzt eher wieder Cluster kleinerer Boutiquen, durchsetzt mit Kinos und Restaurants - die Leute sollen genießen und ausprobieren, denn das trockene Angebot als solches kennen sie ja schon - aus dem Internet. Gleichzeitig beginnen dieselben Luxushersteller, die Ebay und Konsorten verklagen, weil auf ihren Sites gefälschte Waren verschachert werden, Internethändler zu zertifizieren, die mit gebrauchten Luxuswaren handeln dürfen.

Kurz und gut: Die verschiedenen Welten inspirieren einander, konkurrieren und kooperieren, und so kommt das Neue in die Welt. Und auf der gibt es derzeit eine Menge, was deutlich weniger Spaß macht als Onlineshopping oder die wilden Einfälle der Gmail-Werbe-Aficionados.

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