Cellulitis auf dem Handrücken

Von Peter Littmann

Truth is beauty" schrieb der unsterbliche John Keats in einer seiner Oden. Johnny, diese Zeiten sind lang vorbei. Heute heißt es nur noch "Youth is beauty!"


Doch, ach, über Nacht sind sie da, die Falten. Der Gatte kann zwar keinen Unterschied zu letztem Jahr erkennen, und die Freundin beschwichtigt. Aber Frau ist verzweifelt und bereit, tief in die Tasche zu greifen, damit sie ja möglichst lange so aussieht wie ihre Tochter. Anti-Aging heißt das Zauberwort der Kosmetikindustrie. Aber um es gleich zu sagen: Die Menschheit ist gegen den genetisch bedingten Alterungsprozess machtlos. Zum Glück – wenn diese kleine Altersweisheit noch gestattet ist.

Die meisten Leute sind anderer Meinung. Und so schätzt die American Society for Aesthetic Plastic Surgery, dass die Amerikaner allein 2003 mit rund 8,3 Millionen kosmetischen Behandlungen die Natur korrigiert haben. Davon waren 78 Prozent nicht chirurgisch. Chemische Peelings, Laserbehandlungen und Botoxinjektionen ersetzen zunehmend das Messer.

Sechs Wochen Kaviarintensivpflege fürs Gesicht kostet 500 Euro, Algenpflege 230 Euro. Ginko-Shake fürs Dekolleté gibt’s für 280 Euro. Am teuersten ist ein Produkt aus Seetang, Vitaminen und Mineralien: 39 Milliliter La Mer macht 315 Euro – und die Tiegelchen sind so begehrt, dass die Story von der angeblichen Warteliste geglaubt wird.

Das liegt vor allem an der Geschichte, mit der das Produkt vertrieben wird: Sein Erfinder Max Huber war Physiker bei der Nasa, als ihm explodierender Raketentreibstoff das Gesicht verbrannte. Die Therapien der Ärzte halfen dem entstellten Mann nicht weiter, und so begann er zu experimentieren. Zwölf Jahre später war sie fertig, die Creme, die sich angeblich "den Naturgesetzen widersetzt".

Der Kosmetikmarkt ist übervoll, und die Boxhandschuhe, mit denen die Hersteller antreten, werden jährlich härter. Tatsächlich handelt es sich nämlich bei allen Produkten nur um Öl-in-Wasser-Emulsionen, ein wenig Parfum und einige Additive, die die Sprache der Werber anreichern wie Seide, Algen oder Vitamine. Alle weiteren Unterschiede in Erfolg und Preis sind vor allem das Produkt der Marketingabteilung. Oder sagen wir es empirisch: Kosmetikfirmen wenden drei Prozent ihres Umsatzes für Forschung und zehnmal so viel, bis zu 30 Prozent, für Werbung auf.

Unlängst hatten die englischen Autoritäten die Nase voll. Die Advertising Standards Authority (ASA) verbot im Königreich die Kampagne für ein Pantene-Pro-V-Shampoo, die behauptet hatte, das Produkt stärke das Haar mit Aminosäuren. Auch die Werbung für ein Anti-Cellulite-Produkt von Estée Lauder wurde schwer gerüffelt. Der Hersteller erweckte den Eindruck, das Produkt würde tatsächlich die Dellen aus dem Fettgewebe schmelzen. Beides ist erwiesenermaßen Quatsch. Lauders Behauptung, "83 Prozent aller Nutzerinnen nahmen eine Reduktion ihrer Cellulitis wahr", bezog sich auf einen vierwöchigen Test mit 46 Personen. Die ASA maulte, diese Tests seien nur auf Handrücken gemacht worden.

Aber was, wenn Kosmetikmarken selber altern? Traditionsfirmen wie Clarins, Estée Lauder oder Lancôme werden einerseits von Unternehmen wie Beiersdorf angegriffen, deren Q10-Produkte dasselbe versprechen wie die High-End-Ware, aber nur ein Viertel davon kosten. Und von oben attackieren teure, von Dermatologen und Schönheitschirurgen entwickelte "Doktor"-Marken wie StriVectin-SD, N.V. Perricone und Erno Laszlo die Traditionsfirmen.

Deshalb hat Lancôme in New York, Hongkong und Schanghai große Konzeptboutiquen eröffnet, die nur hauseigene Produkte vertreiben. Die Läden dienen als Labor für Marketingtechniken, die der Marke ein jüngeres, hipperes Auftreten geben sollen. Was funktioniert, soll in Kaufhäuser und Parfümerien exportiert werden.

Den alternden Marktbeobachter erfüllt das mit Befriedigung: Den Jugendkult, den die Kosmetikfirmen riefen, werden sie nun selber nicht mehr los. Interessant auch, dass Jean-Louis Sebagh, der Erfinder einer Anti-Aging-Linie, rät: "Verzichten Sie aufs Joggen. Durch die ständige Erschütterung verliert die Haut an Volumen und Festigkeit und lässt viele Frauen älter aussehen, als sie sind." Sonst noch was? "Viel Schlaf, kein Nikotin und niemals Sonne." Fast hätten wir uns das gedacht.

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