Rat für Formgebung

Von Peter Littmann

Traditionell war Geschmack das Nebenprodukt von Bildung, also der intensiven Beschäftigung mit Wissenschaft, Geschichte und Kultur. Inzwischen ist es andersrum: Bildung entsteht quasi als Schlacke des guten Geschmacks.

Wer die Qualität von Wein, Zigarren, Kunst, Möbeln, Opernsängern, grünem Tee oder grünem Spargel beurteilen will, kommt halt um ein wenig Sachverstand nicht herum. "Wir kaufen, weil wir wissen" war gestern. Heute "müssen wir wissen, weil wir kaufen wollen". Was früher Kunst war, ist heute Konsum. Wir erleben die Boutiquisierung der Kultur – und das ganz wörtlich, wenn beispielsweise aus den Räumen des Guggenheim Museums im New Yorker Stadtteil Soho nach dessen Schließung ein Prada-Tempel wird.


Die Priester des Guten, Wahren, Schönen grämen sich darob ganz fürchterlich, Pulsfühler der Gegenwart hingegen sehen es als Chance, wenn das finanzkräftige Geschmacksbürgertum an die Stelle der klassischen Bourgeoisie tritt.

Die Betreiber dieser Entwicklung sind die reicher und reifer werdenden Babyboomer. Sie glauben, sich immer weniger von der Werbung einwickeln zu lassen. Stattdessen wollen sie vom Produkt und seinen Qualitäten überzeugt werden. Für sie ist reibungslose Funktion eines Dings die Pflicht, ihnen geht es beim Kauf schon lange nicht mehr alleine um den Nutzen eines Objekts, sondern um den Stil, den es ausdrückt – die Kür. Nicht Funktionalität, sondern Design verkauft. Das ist die Botschaft hinter dem Erfolg von Apple und Bang & Olufsen.

Dahinter steht die schlichte Erkenntnis: Wer nicht über den Preis konkurrieren kann oder will, muss sich anders differenzieren. Design ist ein Erfolgsrezept, auch für den deutschen Mittelstand.

Ein paar Vorbilder mit Haltung gibt es: Den Leuchtenhersteller Erco aus Lüdenscheid beispielsweise, dessen Lichtinstallationen die amerikanischen FlagshipStores von Ferrari zieren, weltweit die Läden von Zara weltweit und eine von Norman Foster entworfene Tankstelle in Madrid. Ähnliche Wege beschreiten der Armaturenhersteller Dornbracht in Iserlohn oder die Möbelhersteller Cor und Vitra.

Gute Materialien, Handwerkstradition, Nachhaltigkeit in der Produktion, edle Formen – das führt oft weiter als Preiskampf oder temporärer technischer Vorsprung. Gestaltung muss dann aber mehr sein als Schminke. Sie sollte stehen für den aufrichtigen Versuch, das Leben des Konsumenten zu verschönern, und für den Ansatz, Ergonomie, Ökologie, Ökonomie und Ästhetik miteinander zu versöhnen.

Designerfolg geht nicht ohne starke Marke. Marke geht nur über hervorragende Produkte. Dem deutschen Mittelstand spielt das in die Hände, haftet ihm doch immer noch der Ruf an, exzellente Qualität zu produzieren. Ähnliches gilt übrigens auch für Design made in Germany: ein Begriff, der seit dem Bauhaus Nüchternheit und Klarheit signalisiert. Wer diesen Purismus vorsichtig zu emotionalisieren weiß, kann es mit italienischen Designern allemal aufnehmen.

Experten vom IF International Forum Design schätzen allerdings, dass gerade mal 20 Prozent der deutschen Unternehmen Design strategisch einsetzen – erstaunlich wenig.

Zumal das oft vorgebrachte Kostenargument nicht zieht: Die Designkosten machen nur drei bis vier Prozent der Gesamtkosten einer Produktentwicklung aus. Studien belegen, dass sich die Mehrkosten im Schnitt nach 15 Monaten amortisiert haben.

Anhand vieler Beispiele lässt sich belegen, dass der Lebenszyklus von Produkten mit gutem Design deutlich länger ist als der von Allerweltsdingen. Eine englische Studie will gar beweisen, dass Unternehmen, die strategisch in Design investieren, ihren Wert schneller steigern als Wettbewerber mit anderen Prioritäten.

Viele Jahre zählte Deutschland zu den führenden Designnationen mit dem Bauhaus, der Ulmer Schule, dem Deutschen Werkbund und Köpfen wie Ludwig Mies van der Rohe, Walter Gropius, Marcel Breuer, Peter Behrens, Egon Eiermann oder Otl Aicher. Da sollten wir wieder hin – schon aus ökonomischen Gründen, aber auch aus ästhetischen. Wenn schon Konsum statt Kultur, dann bitte wenigstens so, dass es einem das Auge nicht bricht.

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