Mehrwert, den wir meinen

Von Peter Littmann

Qualia kommt laut Sony-Marketing von "Qualität" – nicht von "Qual der Wahl" – und steht für eine Produktlinie aus Digitalkameras für 3 900 Dollar, Stereosystemen für 15 000, Fernsehern für 12 000 und Heimkinoanlagen für 30 000 Dollar.

Die Amerikaner nennen solche Angebote – vermutlich in Anlehnung an den No-Limit-Extremsport – "extreme consumption". Sony will ran an die stetig wachsende Zielgruppe, die sich das leisten kann, und ist damit in illustrer Gesellschaft: Vertu verkauft heute Mobiltelefone in Platin für 20 000 Dollar, und bei Jacob the Jeweler gibt’s die Quatschboxen sogar mit Edelsteinen verziert – so ab 125 000 Dollar. Für dieselbe Summe, bloß in Pfund, kriegt man in England heute ein paar Lautsprecher – dafür lackiert sie der Hersteller Wilson Audio auch im selben Lack wie den Aston Martin oder Bentley, den der Audio-Freak vor der Tür stehen hat.

Was bedeutet das? Warum geben Menschen 8 000 Euro für einen Plasma-Fernseher aus, wenn es auch schon für 300 Euro ganz ordentliche Geräte gibt? Wieso legen hart arbeitende Leute 15 000 Euro für einen Chronographen auf den Tisch, wenn eine Digitaluhr für 9,99 ihnen ebenso zuverlässig die Zeit anzeigt? Warum werden Autos für Hunderttausende und Kaffeemaschinen für Tausende von Euro gekauft?

Ein Gang ins Völkerkundemuseum zeigt: Der Wunsch nach dem schmückenden Extra ist so alt wie die Menschheit. Wir haben immer schon versucht, Dingen des täglichen Gebrauchs mehr mitzugeben als simplen Nutzwert. Lange bevor sie schreiben oder lesen konnten, wussten unsere Vorväter, wie man aus Bronze oder Gold schöne Kleiderspangen, Trinkbecher oder Haarklammern macht. Demselben Impuls folgend, wurde aus der Tin Lizzy – dem Urgefährt aus der Fabrik von Henry Ford – ein Megamarkt, in dem sich jeder ein Auto nach Gusto zulegen kann, vom Smart bis zum panzerartigen Luxusgeländewagen.

Dasselbe Prinzip gilt heute für Uhren, Handys oder Kochtöpfe – neben den Basisprodukten, die für ihren eigentlichen Zweck völlig ausreichen, gibt es immer die Edelversion, die eher als Ausdrucksmittel für Individualität "benutzt" wird.

In der Folge wird heute auch High-Tech-Massenware vertrieben wie früher Luxusprodukte – konsequenterweise redet Sony im Segment Qualia nicht mehr von "Kunden", sondern von "Gästen" wie früher die Haute-Couture-Schneider von den Damen in ihrem Salon. Auf diesem Weg versucht Sony, mit wirklich betuchten Kunden eine persönliche Beziehung aufzubauen. Für sie gibt es inzwischen gar den eigenen Shopping-Service "Cierge" mit angeblich 5 000 "Mitgliedern".

Warum tut Sony sich das an? Weiß man doch, dass fast alle Couturiers – die von jeher versuchen, eine extrem reiche Klientel sehr persönlich zu bedienen – ökonomisch große Sorgen haben. "Wir wollen die emotionale Beziehung der Menschen zu ihren technischen Geräten verändern", begründet Ken Sugawara, der Manager, der Qualia-Produkte in den USA verkaufen soll. Im Klartext bedeutet das: Sony versucht, zu seinen kreativen Ursprüngen zurückzukehren und Innovation zu vermarkten, statt immer billigere Massenware zu verticken. Was anderes wird ihnen im Hinblick auf die gegenwärtigen Ertragsprobleme auch gar nicht übrig bleiben – schließlich gibt es inzwischen überall chinesische Elektronik zu Preisen, die kaum noch zu unterbieten sind.

Eine Studie der Boston Consulting Group meint sogar, im Luxus liege die Zukunft: Der Studie der Berater zufolge sagen 81 Prozent der Befragten mit einem Jahreseinkommen von über 50 000 Dollar, dass sie selbst in einer mauen gesamtwirtschaftlichen Situation mehr Geld für Premiumprodukte ausgeben werden – und 90 Prozent meinen: Selbst wenn Qualität teuer kommt, sei es spaßiger und befriedigender, wertvolle Produkte zu kaufen.

Insofern hinkt der Vergleich mit den Not leidenden Couturiers: Der Luxusbegriff der Gegenwart zielt nicht mehr auf Pelze oder Juwelen oder andere rare Dinge, die wegen ihrer Seltenheit teuer sind. Luxus heute meint hochwertige, kreative, möglichst individualisierte Massenprodukte mit Feel-good-Faktor. Wer vor diesem Hintergrund immer noch "Schnäppchen! Schnäppchen!" schreit, läuft der Zeit hinterher.

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