Frack und Fräckchen

Von Peter Littmann

Lederballerinas in Kindergartengröße 26 für 145 Euro von Gucci, Trenchcoats en miniature für 400 Euro von Burberrys, Babystrampler mit glitzerndem "J’adore"-Schriftzug von Dior. Für Kinder ist den Designern nichts zu schade. Das ist nachvollziehbar: Oft sind die Kollektionen nur im Vorbeigehen entworfene Kopien der Erwachsenenmode – mit größeren Gewinnspannen. Für Kinderkleidung wird nämlich weniger Stoff gebraucht und billigeres Material verwendet, Jeans statt Gabardine, Baumwolle statt Kaschmir.

In den südlichen Nachbarländern ist es schon länger üblich, Kinder wie Stil-Ikonen auszustaffieren. In Italien gibt es sogar eine "Vogue Bambini" (einen Ableger des Modemagazins) und unter dem Logo "I Pinco Pallino" so teure Sachen, dass die Branche von einem "Chanel für Kinder" spricht. Bislang waren die Deutschen mit dem Püppchen-Virus weniger infiziert, hier verkauften sich praktische Sachen besser, repräsentiert durch Mittelklassemarken wie Tom Tailor oder Esprit. Der Marktanteil von Designerware für Kids lag folglich bei nur rund fünf Prozent. Doch er wächst inzwischen.

Das lässt sich auch daran absehen, dass "I Pinco Pallino" gerade auch auf dem Berliner Kurfürstendamm eine Boutique eröffnet hat. Wie in anderen Konsumbereichen teilt sich offenbar auch der Kinderbekleidungsmarkt in "ganz billig" und "ganz teuer". Alles dazwischen schrumpft. Nun kommt nach "Bogner Kids" mit Escada die zweite deutsche Kollektion an edler Mini-Mode auf den Markt. Zur Begründung gab Wolfgang Ley, Chef des Labels, im "Stil"-Teil einer Sonntagszeitung zu Protokoll: "Die Mädchen sollen in den Escada-Lifestyle hineinwachsen."

Ley und die Hersteller sind leicht zu verstehen. Aber warum geben Eltern so viel Geld für Kinder-Designermode aus, die ja doch nur voll gekleckert oder zerrissen wird – und nach kurzer Zeit zu klein ist? Eltern wollen demonstrieren, wie viel ihnen ihr Kind wert ist. Die Kleinen haben davon leider gar nichts. Sie müssen erst einmal lernen, das X vom U zu unterscheiden, insofern ist es ihnen zunächst egal, ob Mama in der Edelboutique oder bei H&M einkauft. Wertschätzung erfährt also zunächst mal nicht der Nachwuchs, sondern das große Ego der Eltern. Ein Vorführeffekt, ganz auf Erwachsene konzentriert: Beeindruckt werden sollen vor allem die Mütter der anderen Kinder.

Doch die zunächst markenresistenten Kids lernen schnell: Zwölf- bis 18-Jährige kennen heute schon mehr als 130 Modelabels und Modehandelsketten, wie die Studie Bravo Faktor Jugend ermittelte. Mit der Volljährigkeit und der rechtlichen Geschäftsfähigkeit ist ein junger Mensch also bereits zum Konsumenten herangebildet. Aus Sicht der geplagten Wirtschaft ist das auch bitter nötig. Denn demographisch gesehen wird auch der Käufer-Nachwuchs knapp, im Grunde ist es eine Frage des Überlebens für viele Unternehmen, Kinder möglichst früh an eine Marke zu binden und möglichst immer mehr an immer weniger Kids abzusetzen.

Die Gesetze des Marktes gelten überall: Je weniger Kinder es in den Industrieländern gibt, desto wertvoller werden sie. Viele leben in einem Vier-zwei-eins-Schema: Die Liebe (und der Wohlstand) von vier Großeltern und zwei Eltern regnet auf ein Einzelkind herab, das sich bald vor lauter Zeug nicht mehr retten kann.

Die unterschwellige Botschaft, die diese Prinzen-Generation zusammen mit der Vintage- Jeans von Polo Ralph Lauren für 500 Euro eingetrichtert bekommt, lautet: Wer geliebt wird, hat viele, teure Sachen. Wer aber keine hat, der ist es vielleicht auch nicht wert, geliebt zu werden. Selbstwertgefühl und Konsumfähigkeit rücken auf diese Weise gefährlich nahe zusammen, auch weil Kinder natürlich beobachten, dass ihre Eltern einkaufen gehen, wenn ihre Laune der Aufbesserung bedarf. Mami findet sich im neuen Kleid begehrenswerter, Papi belohnt sich für die viele Arbeit mit einem Cabrio.

Das Ergebnis dieser Wohlstandserziehung findet sich auch in der Studie Bravo Faktor Jugend: Dort sagen die befragten Jugendlichen, dass Aussehen wichtiger wird als Charakter und dass Mode für ihr Leben fast so wichtig ist wie die eigene Familie. Ihre Eltern werden sich freuen zu hören, dass sie bei ihren Kindern offenbar einen ähnlichen Stellenwert haben wie das neue Fräckchen von Versace.

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