Amateure im Marketing muss man einfach lieb haben

Top Technics: Promotion

Von Peter Littmann

Besuch von der Schwiegermutter ist für einen Familienvater eher anstrengend: Die gut meinende Nervensäge will nicht etwa von seine Heldentaten hören, sondern selber reden und außerdem die Möbel umstellen. Für viele bekannte Marken sind die unternehmensbezogenen Blogs im Internet genau so wie ein Besuch der alten Dame, nervige Kommentare inklusive. 

Auch das Bild vom guten alten Macho-Familienvater passt: Manche Marketingchefs leben noch in der Vergangenheit, in der die Hersteller selber das Markenerlebnis steuerten. Guten Morgen, die Zeit der Deutungshoheit des Markeninhabers ist endgültig vorbei. Konsumenten sind heute Kollaborateure der Markenentwicklung, ob das den Brand-Muftis nun Spaß macht oder nicht.
Was aber tut der Mensch mit aufdringlichen Familienmitgliedern, die er nicht hinaus werfen kann? Man umarmt sie solange, bis sie sich geliebt fühlen und für Gemecker keine Luft mehr haben. Die intelligenteren Unternehmen reagieren so ähnlich auf den technologisch getriebenen Machtwechsel und laden ihr Publikum proaktiv ein, sich zu ihren Produkten zu äußern. Amazon war ein Pionier mit der Möglichkeit für jedermann, Bücher zu besprechen. Handelsmarken wie Target oder Quelle zogen nach: Kunden bewerten nicht nur den neuesten elektronischen Fummel, sondern auch das Engagement, mit dem Reklamationen behandelt werden. Wenn sich Kunden die Mühe machen, sich zu beschweren, kritische Blogs zu schreiben oder auf youTube Kampagnen zu verballhornen, zeigt das ja nur, dass ihnen eine Marke wichtig genug erscheint. Kritik ist Liebe.
Doch Liebe ist schwierig und nah am Mann gingen viele der ersten Versuche mit interaktiven Features nicht ohne Pannen ab, denn manche Schwiegermutter nutzte die Party für einen gewaltigen Krach: „Gut Meinen gibt oft Weinen“. Bei Chevrolet beispielsweise. Zum Launch eines überdimensionierten Sports Utility Vehicles startete die GM-Marke eine Site mit der Aufforderung an das Publikum, Clips und Songs zum Auto hochzuladen. Darauf hatte die Menschheit nur gewartet! Tausende hauten dem Hersteller seine miesen Werte in Sachen Sprit-Verbrauch um die Ohren. Merke: Wer mit der Wiedergabe der authentischen Stimmung seiner Konsumenten nicht leben kann, sollte die kreative Kontrolle lieber gar nicht erst abgeben. Andererseits war das schon 2007 – hätte das Unternehmen damals zugehört und begriffen, dass kleinere, effizientere Autos angesagt sind, säße es heute vielleicht weniger tief in der Tinte.
Auch Walmart kriegte ein paar Dreckspritzer ab. Der amerikanische Mega-Händler starteten im Juli 2006 The Hub – School my way. Aber anstatt wirklich Schüler ihren Stil diskutieren zu lassen, quatschen die Markenmacher selber. Kleine Kostprobe: „Shopping ist mein Lieblingshobby diesen Herbst. Ich werde der modischste Teen der Schule sein, immer die neuesten Klamotten im Blick…, in der Schule werden sie mich um Modetipps anbetteln.“ Marketing-Fachzeitschriften lachten sich über diese plumpen Versuche, Teenager zu imitieren so lange öffentlich kaputt, bis Schluss war mit der Site und den gefälschten Kids. Merke: Fakes gehen gar nicht! Richtig gemacht, wäre so ein Programm jedoch eine gute Idee gewesen. So hätten sich Daten über eine interessante Gruppe generieren, ein bei den Jungen popeliges Image verbessern und die digitale Zukunft ausprobieren lassen.
„Wäre gewesen“ ist aber nicht dasselbe wie gut gemacht. Smarte Unternehmen haben aus den Flops gelernt und arrangieren sich mit den Amateur-Marketingmitarbeitern aus dem Publikum. Chip-Hersteller Dorito beispielsweise lud Konsumenten ein, ihre eigenen Werbespots zu drehen, die fünf besten wurden im Fernsehen gezeigt und das Publikum bestimmte den Gewinner. Vergangenes Jahr lief der erste Spot Made by Kundschaft für die Körperpflege-Serie Dove während der Oscar-Verleihung im TV. Die Firma kriegt mit, was die Leute wirklich denken, veröffentlicht aber nur die Komplimente. And the winner is... Dove! Das musste Schule machen. Derzeit steigt L'Oréal Brandstorm 2009: Junge Leute aus aller Welt können wie ein Brand Manager eine neue Produktlinie für eine existierende Marke des Hauses entwickeln. Inzwischen gibt es über 30 000 Bewerber aus 38 Ländern. Schwiegermütter wollen eben mitreden – und die eine oder andere hat tatsächlich was zu sagen.

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