Ergo holt Marketing-Preis
Noch immer ist die Reputation des Versicherungskonzerns Ergo durch die Skandale um Sex-Parties und falsche Verträge stark angeschlagen. Und doch kürten Branchenexperten das Unternehmen zur besten neuen Marke.
Die Sitzung dauerte zehn Stunden, aber am Ende waren alle einer Meinung. Am Mittwoch, dem 18. Januar 2012, kamen in den Konferenzräumen der Metro AG in Düsseldorf neun Männer und zwei Frauen zusammen. Alle elf waren ausgewiesene Werbeexperten. Von morgens um zehn bis abends um acht ließen sie sich Kampagnen präsentieren, diskutierten über Studien und Marktzahlen und vergaben schließlich vier Preise. Die Überraschung: In der Kategorie „Beste Neue Marke“ des „Marken-Awards 2012“ gewann das Unternehmen, das 2011 mit einem Sex-Skandal berühmt wurde: Ergo.
„Die Entscheidung der Jury war einstimmig“, sagt Christoph Berdi, Chefredakteur der „Absatzwirtschaft“. Das Fachmagazin organisiert seit 2001 den „Marken-Award“ und gehört ebenso wie diese Zeitung zur Verlagsgruppe Handelsblatt.
Ein Problem bei dem diesjährigen Preis sieht Berdi nicht. Die Jury sei hochkarätig besetzt, bemerkt er, neben dem Markenchef der Deutschen Post sitzt auch Henkel-Direktoriumsmitglied Tina Müller und Rolls-Royce-Chef Torsten Müller-Ötvos in dem Gremium. „Das sind alles Experten, die ihre Entscheidung gut begründen können“, sagt Berdi.
Nicht alle Mitstreiter waren anscheinend so überzeugt wie Berdi. Ein Jurymitglied sagte ausweichend: „Naja, es ist die Frage, welche Alternativen man hat.“ Wenn man sich das Wettbewerbsumfeld anschaue, dann sei Ergo durchaus eine gute Wahl gewesen. Konkret: Es gab in der Kategorie nur rund ein Dutzend Bewerbungen, hinter Ergo landeten das Henkel-Deo „Right Guard“ und „Moneyfix“, eine Marke der Deutschen Kautionskasse.
Die Leser der „Absatzwirtschaft“ hatten in der Vergangenheit kaum Hinweise, dass Ergo in Sachen Marketing eine Vorzeigeleistung gelungen sei. 2010 wurde die Entscheidung, die Einzelmarken des Konzerns, darunter Hamburg Mannheimer und Victoria, unter der Dachmarke Ergo zusammenzufassen, in einem Artikel mit der Überschrift „Im Schnellschuss Werte liquidiert“ stark kritisiert. 2011, als Ergo wegen der Sex-Party in der Gellert-Therme in Budapest wochenlang in den Schlagzeilen war, erntete die Versicherungsgruppe für ihr Marketing scharfe Kritik. Chefredakteur Berdi sagt dazu: „Wir stehen zu dem, was wir geschrieben haben. Aber Ergo konnte die Jury überzeugen, dass die Marketingstrategie wirkt.“
Die Aussage überrascht. Im Juni 2011, nachdem Ergo schon 50 Millionen Euro für ihre Werbung ausgegeben hatte, führte das Marktforschungsinstitut Puls eine repräsentative Umfrage durch. Das Ergebnis: 76 Prozent der Befragten kannten den Sex-Skandal, die Hälfte von ihnen schrieb ihn der Ergo zu, obwohl eigentlich nur die Tochter Hamburg Mannheimer betroffen war. Im Oktober ermittelte die Markenberatung Musiol Munzinger Sasserath in einer Studie: 2011 war Ergo die Marke, die am meisten Vertrauen verlor.
„Die Leute denken doch bei Ergo gerade nur an Budapest, Armbändchen, Stempelkissen“, sagt Peter Littmann, ehemaliger Chef von Hugo Boss und Gründer der Markenberatung Brandinsider. „In diesem Umfeld hätte ich Ergo nicht geraten, sich für einen Marketing-Preis zu bewerben. Das kommt doch nur falsch an.“
Diese Einschätzung teilt Ergo nicht. „Ich freue mich, dass unsere Leistung bei der Schaffung einer neuen Konsumentenmarke auch in Fachkreisen anerkannt wird“, sagt Marketingleiterin Andrea Hoelken auf Anfrage. Und Hubertus von Lobenstein, der mit seiner Agentur Aimaq von Lobenstein die Ergo-Kampagne entwickelt hat, ist ebenfalls stolz. „Wir finden das, was wir erreicht haben, sehr, sehr gut“, sagt Lobenstein. Auch er saß in der Jury, betont jedoch, er habe sich bei der Abstimmung der Stimme enthalten. Eines aber verrät Lobenstein: Ergo hat sich für zwei weitere Marketingpreise beworben.