Nur noch Guru sein
Der Spiegel
Die Schlammschlacht um die Joop GmbH geht zu Ende: Textilmanager Peter Littmann steht als Käufer bereit - und hat mit dem Designer große Pläne. Von Thomas Tuma
Verliebte Jungs tun viele eigenartige Dinge: Sie reden ständig wirres Zeug. Sie fallen von einer Euphorie in die nächste Depression. Sie erfinden sich alle 20 Minuten neu und wollen nebenher die Welt aus den Angeln reißen. Kurz: Sie sind gut drauf, aber ein bißchen daneben. Wolfgang Joop muß verliebt sein.
Es ist einer dieser trüben Wintertage, die schon mittags wie Abend aussehen. Der Couturier rauscht durch die Hamburger Stadtvilla seines Sekretärs und Lebensgefährten Edwin Lemberg. Gerade waren ein paar Lancaster-Manager bei ihm, gleich muß er zur Massage. Und in der Viertelstunde dazwischen möchte er schnell die Welt aus den Angeln reißen. Die Modewelt. Wenigstens.
Er lacht. Er schreit. Er raucht. Er sagt, daß er ein Emotionshändler sei, daß nun alles ganz anders werde, und daß er sich alle 20 Minuten neu erfinden müsse. Peter Littmann habe das verstanden. Peter wer?
Der 50jährige ist seit August Vorstandschef der Hamburger Wünsche AG, die sich unter seiner Führung vom muffig-müden Gemischtwarenladen mit Futtermittel- und Immobilienzweigstelle zum international anerkannten Textilkonzern heraufhungern soll.
Dank der Verkäufe hat Littmann, der vorher Boss erfolgreich führte, Geld genug, eine ausbaufähige Modemarke zu kaufen - wie Joop eben: im Emotionshandel New-York-Klasse, in der Strategie noch Bielefeld. Nun sind die Verträge unterschriftsreif.
Littmann will die große Mehrheit der Joop GmbH übernehmen. Er will die Macht der 18 Lizenznehmer beschneiden, manche gar verabschieden. Er will als alleiniger Geschäftsführer die Marke international etablieren, während der Designer fortan "nur noch Guru sein" möchte. Weil Gurus aus Hamburg-Pöseldorf aber eher selten die Welt erobern, soll er mit Frack und Pack schon bald nach New York auswandern. Joop ist begeistert.
Er schwärmt von Littmann wie ein alternder Ehemann, der seinen letzten Frühling herannahen sieht. Auch Joop ist mit 53 Jahren kein Jüngling mehr. Und auch er ist bislang unglücklich verheiratet: mit Herbert Frommen, 57, dem Geschäftsführer und Teilhaber seines Imperiums. Herbert wie?
Über den Wiesbadener Partner mault Joop heute, als teile er mit ihm seit Jahren nur noch die abendliche Tagesschau und müsse Frommen währenddessen zusehen, wie der sich die Zehennägel schneidet. In Wahrheit teilen sie außer den Gewinnen gar nichts mehr, seit Frommen 1996 mit dem US-Kosmetik-Konzern Estée Lauder eine neue Firma und das Parfüm Kiton lanciert hatte.
Joop, der ein Drittel des Umsatzes eigenen Duftwässern verdankt, sah sich verraten, belogen und ausgenommen (SPIEGEL 43/1996). Der wahre Grund des Zerwürfnisses liegt bei Menschen wie ihm natürlich tiefer.
Nach zehn Jahren wollte er raus aus dem Dunstkreis jenes Managers, der ihn groß und reich gemacht zu haben glaubte mit der Idee, seine vier Buchstaben samt Ausrufezeichen auf Jeans und Unterhosen und Socken und Sonnenbrillen zu pappen. Der geschäftliche Übervater hatte Erfolg und deshalb recht. Joop aber wollte seinen Namen nicht länger verramschen lassen.
Wenn das ganze Unternehmen schon in Schutt und Dutt ging, dann hoffte Joop, wenigstens als Jeanne d''Arc der Branche aus den Trümmern zu kriechen, statt als Image-Nutte auf dem Grabbeltisch des nächsten Kaufhauses begraben zu werden. Der Scheidungskrieg begann - und mit ihm ein wunderbares Jahr für ein rundes Dutzend Juristen.
Denn leider gehören ihm nur 40 Prozent der gemeinsamen Firma. 10 Prozent kontrolliert der Hamburger Anwalt Philipp Buse, die andere Hälfte Frommens Familie. Laut Satzung muß jeder Anteilsverkauf aber mit einer Mehrheit von 90 Prozent beschlossen werden. Mal wollte der eine verkaufen, dann der andere, mal niemand, und mal war kein Käufer in Sicht.
Wer sich nicht einigen kann, der will sich wenigstens ordentlich kaputtmachen: Joop schickte Wirtschaftsprüfer in die Wiesbadener Zentrale. Frommen belegte Joops Adlatus Lemberg mit Hausverbot, das bis heute nicht zurückgenommen wurde. Der Münchner Modemacher Willy Bogner und Peter Harf, Chef des Waschmittelmultis Benckiser, die beide mit Frommen Geschäfte gemacht hatten, sollten gegen den Manager aussagen.
Klagen und einstweilige Verfügungen wechselten einander ab. Ein Gerichtstermin nach dem anderen wurde anberaumt, verschoben und wieder anberaumt.
Es ging um Wettbewerbsverstöße und Veruntreuung, schwarze Kassen, Schadensersatzansprüche und um eine Sekretärin, die Frommen mit einem Jahresgehalt von fast 500 000 Mark - für welche Dienste eigentlich? fragt Joops Lager gern grinsend - belohnt haben soll. Nur um Littmann ging es zunächst nicht.
Bis Anfang 1997 saß der in Metzingen und ließ sich als Boß bei Boss feiern. Littmann ist die Sorte Manager, die Nickelbrille wie Verantwortung gleichermaßen stolz trägt, mit 23 Jahren bereits einen Beuys besaß und auf die Frage nach Hobbys gern antwortet: Galerien besuchen.
Wer in der Wirtschaft als 50jähriger noch bekennender Junggeselle und Kunstfreund ist, macht sich als "Schöngeist und Weltenbummler" nicht nur dem "Manager Magazin" verdächtig. Dabei scheint der gebürtige Tscheche ein geborener Unternehmer zu sein - trotz oder gerade wegen seines eher verschlungenen Lebenslaufs.
Wer kann sich schon rühmen, in Bratislava Maschinenbau studiert zu haben, vor den Kommunisten nach Deutschland geflohen zu sein, als Kabelträger beim WDR gejobbt und über den Umweg eines Philosophie- und Betriebswirtschaftsstudiums schließlich ein Topangebot der Wuppertaler Familienfirma Vorwerk & Co. bekommen zu haben? Innerhalb von nur zehn Jahren stieg er bis zum Präsidenten des Teppichunternehmens (Weltumsatz 1992: zwei Milliarden Mark) auf und gönnte sich nebenher, Künstler wie Roy Lichtenstein oder David Hockney als Gestalter seiner Auslegeware zu gewinnen.
Littmann blieb nicht auf dem Teppich, sondern wechselte 1993 als Chef zur Hugo Boss AG. Die Marke wurde erst so richtig groß, nachdem Littmann sie zerschlug. Die "Boss"-Kollektion bedient heute das Mittelklasse-Management, "Hugo" den hippen Friseur und "Baldessarini" den Vorstand mit Modeverstand. Daneben sponserte Littmann Ausstellungen im New Yorker Guggenheim-Museum, vergab einen Hugo Boss Award und hielt Marketingvorlesungen an der Privatuniversität von Witten-Herdecke.
Anfang Januar 1997 warb der Freizeitprofessor in eigener Sache um Verständnis: Vor 400 erschütterten Vertriebsleuten, die eigentlich wegen der neuen Herbst/Winter-Kollektion nach Metzingen gereist waren, inszenierte er seinen Abschied. Nun war er frei, aber war er auch reif für den Einstieg bei Joop, den er schon als Boss-Mann gern übernommen hätte?
Littmann machte erst mal Urlaub, besuchte sicher auch viele Galerien und wehrte sich nicht gegen das Gerücht, er habe bei dem norditalienischen Boss-Mehrheitsgesellschafter und blassen Textilbürokraten Pietro Marzotto zuwenig Unterstützung für seine Visionen gefunden. Marzotto ließ zwar durchblicken, der Markenmacher habe sich im Gegenteil zu wenig darum gekümmert, die eigenen Ideen umzusetzen. Doch da war Littmann schon zur Wünsche AG gewechselt. Wünsche was?
Er hätte doch auch zu Ralph Lauren gehen können. Nach New York, wo alle großen Gurus sitzen. Aber da lächelt Littmann nur unverbindlich, spricht von einer echten Aufgabe, die er gesucht habe und davon, daß der nächste ja wahrscheinlich sein letzter Posten sein werde.
Die bloße Nachricht seines Umzugs reichte, um den Kurs der Wünsche-Aktie von 124 auf 180 Mark emporschnellen zu lassen. Mehrheitsaktionär Kai Wünsche biß die Zähne zusammen und soll Littmann ein Jahresgehalt von drei Millionen Mark gegönnt haben. Obendrauf gab''s ein zehnprozentiges Aktienpaket.
Als auch noch Gerüchte auftauchten, Wünsche könne auf dem Weg zum reinen Textilkonzern möglicherweise eventuell ein Interesse an Joop vielleicht nicht ganz und gar ausschließen, erlebte die Aktie einen weiteren Höhenflug. Dann geschah monatelang gar nichts mehr, obwohl Joop keine Gelegenheit ausließ, Littmann als Traumpartner im Gespräch zu halten.
Die Branche war verwirrt, die Clique von Joops Lizenznehmern längst verrückt geworden in der lähmenden Schlammschlacht ihrer beiden Oberhäupter. Auf einem Treffen in Düsseldorf schlugen sie vor, den dubiosen Jungunternehmer Lars Windhorst zu engagieren, um wenigstens Joops Auslandsvertrieb voranzutreiben.
Im internen Protokoll heißt es, Windhorst habe zwar bisher im Modesektor keinerlei Erfahrung, könne sich das benötigte Know-how jedoch einkaufen. Mit anderen Worten: Er hat keine Ahnung, aber einen Namen. Erst als über einen 20-Jahres-Vertrag mit Windhorst geredet wurde, kam die Runde wieder zur Vernunft.
Und gab es nicht wirklich potentere Interessenten? Boss-Hauptaktionär Marzotto suchte nach einer weiteren schillernden Marke. Und die brüderlichen Boss-Gründer Jochen und Uwe Holy warben gemeinsam mit der Handelskette Peek & Cloppenburg um Frommens Gunst.
Es bedarf wenig Phantasie, sich vorzustellen, was Joop von solchen Angeboten hielt. Sollte er für Marzotto und seine erzkatholische Zahlen-Kolonne bis ins Rentenalter das Maskottchen mimen? Oder für die schwäbischen Provinz-Multimillionäre Holy mit ihrer Altherrenmarke Windsor?
Im Londoner Herbst ließ er seine ganze Verzweiflung an Claudia Schiffer aus: Um das halbtotfotografierte Model bleich und ernst und neu für seine nächste Kollektion wiederzubeleben, riß er ihr in einem Anfall von Gestaltungswut sämtliche Barbiepuppen-Allüren wie Hennes-&-Mauritz-Hemdchen vom Leib. Der Verdacht lag nahe, daß er an der hochbezahlten Schaufensterpuppe jenen Umbruch probte, den er sich selbst noch nicht zugestand.
Littmann ließ derweil beleidigt ausrichten, er werde sich nicht an einer Joop-Auktion beteiligen. Natürlich bot er trotzdem mit. Auf 150 Millionen Mark wird die Firma nun taxiert. Und längst ist auch Frommen entnervt genug, um zu verkaufen.
Zwar hat Marzotto gerade ausrichten lassen, er könne ja noch was drauflegen. Und um herauszufinden, wieviel genau, fuhr ein Anwalt vergangene Woche wieder nach Norditalien. Aber daß die Egomanen Littmann und Joop wie Bruder und Schwester zueinanderpassen, will keiner der Beteiligten mehr bestreiten.
Wir müssen aus der Uniformität ausbrechen, sagt der eine. Wir müssen jeden Tag etwas Neues sein, der andere. Joop sagt, er könne sich überhaupt nur noch virtuell ausdrücken. Ziemlich wirres Zeug eben.
Fürs Geschäft war das Gezeter jedenfalls nicht schlecht. Die Joop GmbH machte im vergangenen Jahr einen Rekordumsatz von rund 500 Millionen Mark. Die Kundschaft habe das ganze Theater kaltgelassen, glaubt Frommen. Er sagt es, als staune er darüber noch immer am meisten.