Weniger klappern, mehr Handwerk
Nach 30 Jahren im Geschäft weiß ich eigentlich immer noch nicht so recht, was das eigentlich ist: Marketing. Am ehesten überzeugt noch folgende Definition: Marketing ist der Versuch, Dinge mit Attributen aufzuladen, die über ihren simplen Waren- oder Produktwert hinausgehen.
Das beschreibt es gut, verursacht aber trotzdem gehörige Magenschmerzen. Denn dieser Vorgang entspricht leider ziemlich exakt dem, was Priester aller Weltreligionen tun. Sie laden irgendwelche Kreuze, Kelche, Gebetsmühlen, Bücher, Oblaten oder Statuetten mit einer Bedeutung auf, die weit über ihren eigentlichen Material- oder Nutzwert hinausgeht.
Der Marketingmann als Prediger der Konsumgesellschaft? Werbung als einzig überlebende massenfähige Metaphysik der Post-Post-Moderne? Das ist so treffend, dass es einen frösteln lässt.
Inzwischen hat der Versuch, schon simpelste Produkte zu Designerware oder Lebenshaltungsstatements aufzuwerten, einsame Höhen erreicht. Jede popelige Airline kommt mit einem Sternekoch daher und erklärt das pappige Langstreckenmenü zum "Geschmackserlebnis". Billiglabels wie H&M beschäftigen Karl Lagerfeld oder Stella McCartney und tun, als ob die so entstandenen Kittel tatsächlich Designerware wäre.
Der Verzehr von Joghurts soll uns vor Krebs und verfrühtem Herztod retten. Der Erwerb eines Kaufhaus-Fahrrads wird vermeintlich zur Entscheidung über Lebensstile: City Slicker, Racing Machine oder Cross Country Bike? So was geht übrigens besser auf Englisch, auf Deutsch merken die Leute schneller, dass sie es hier mit Nebelkerzen zu tun haben.
Immer mehr merken das allerdings auch so. Es stellt sich eben nicht wirklich ein Gefühl von Befriedigung oder gar Exklusivität ein, wenn sich auf jedem zweiten vollmundig als Wertarbeit beworbenen Designerprodukt das Label "made in Vietnam" findet. Die ganze Wortschwallerei, die uns Plunder als Protz verkauft, provoziert am Ende bei den informierten Zeitgenossen - und das sind in der Regel die mit der interessanten Kaufkraft - nichts als Gegenwehr.
Die mediengerechte Sorge um das aus der Kontrolle geratende Klima und die Berichte über Gammelfleisch waren eindrücklich genug. Dennoch treibt den wachsenden Wunsch der Verbraucher nach Öko-Lebensmitteln vom Bauern, rückstandsfreier Baumwollkleidung oder Autos mit Hybridantrieb oft wohl weniger ein plötzlich erwachtes Gewissen oder Gesundheitsbewusstsein, sondern mehr der Verdruss über das Gelaber der Verkäufer herkömmlicher Ware. Wer 17 Bäume pflanzen lässt, kann auch weiter mit dem 15-Liter-auf-100-Kilometer-Wagen zum Zigarettenautomaten fahren, und Flugreisen sind selbst für Weekendtrips völlig okay, solange der Carrier nur Solaranlagen in Timbuktu fördert ... viele Verbraucher fragen sich angesichts solcher Kampagnen, was eigentlich aus dem guten alten Schamgefühl geworden ist.
Daher der vermehrte Run auf Fairtrade-Importe, kleinere, lokale Hersteller oder der Erfolg von Unternehmen wie Manufaktum, einem Händler von Produkten, die einfach nur das sein wollen, was sie sind. Ein Gemüsehobel sieht da aus wie ein Gemüsehobel und nicht wie ein von einem durchgeknallten "Designer" gestaltetes Raumschiff und will auch nichts weiter sein als ein gut gemachter Gemüsehobel.
Die Produktbeschreibungen sind nüchtern bis rührend altmodisch, und der Mensch denkt sich: "Endlich ein Verkäufer, der mich nicht für einen kompletten Idioten hält!" zückt den Geldbeutel - und zahlt im vollen Bewusstsein ein Premium. Nicht so sehr für die Ware an sich, sondern für das gute Gefühl, ausnahmsweise mal nicht veräppelt zu werden. Wenn er damit sich und der Umwelt auch noch was Gutes tut, umso besser. Merke: Wo so ziemlich alle Produkte mehr zu sein vorgeben, als sie sind, wird plötzlich Demut zum ultimativen Differenzierungsmerkmal.
Vor diesem Hintergrund verpufft das gute alte Push-Pull-Modell - Kunden mit Werbung anziehen und dann mit Preisangeboten in den Kauf schubsen - zunehmend. Die Alternative für die Unternehmen lautet: weniger aufs Klappern und mehr aufs Handwerk setzen. Soll heißen: Alle Energie in den Versuch stecken, das beste, sauberste, intelligenteste Produkt zu machen, und dann so transparent und glaubwürdig auftreten, wie irgend möglich. Wirklich verstanden haben wir den neuen, grünen Hedonisten noch nicht. Eines ist jedoch klar: Zuallerletzt will er von uns angelogen werden.