Moralinsäure verkauft sich nicht im Spaßzeitalter

Von Peter Littmann

Die Diskussion, wo die Fürsorgepflicht des Staates aufzuhören und die Freiheit des Bürgers anzufangen hat, ist alt und mit einigen großen Namen verbunden: Machiavelli, Hobbes, Locke, Hegel, um nur ein paar zu nennen. Nun zählt also auch Sigmar Gabriel dazu. Der Umweltminister findet, der Staat darf vorschreiben, welche Glühbirnen wir in Lampen zu schrauben haben. Energiesparlampen will er sehen, weil die sparsamer und sauberer sind als die herkömmlichen.


Die Frage, was ein Staat soll und was nicht, ist an dieser Stelle nicht endgültig zu beantworten. Hier sei nur die These gewagt: Den Leuten etwas vorschreiben zu wollen, um den Planeten zu retten, bleibt abwegig, solange die meisten Zeitgenossen nicht mal die Energie aufbringen, sich selbst zu retten.

Denn die Leute wählen nicht das Gesunde, Schlanke, Engergiesparende, bloß weil es hilfreich ist. Sie steigen mehrheitlich erst dann darauf ein, wenn es entweder richtig billig oder richtig hip ist. Überzeugungsarbeit durch intelligentes Marketing erscheint also menschengemäßer als Zwangsmaßnahmen.

Nehmen wir nur mal die grassierende Fettsucht: Inzwischen veröffentlicht sogar McDonald's Kalorientabellen. Anlass war nicht eine gesetzliche Vorschrift, sondern das miese Image als Produzent von Dickerchen. Buletten, Fritten und schmerbäuchig vor der Glotze hängen sind out - angesagt sind Wellness, schlanke Linie, Sushi, Vitamindrinks und Vollkornsandwiches.

Ein schönes Beispiel für die Kraft des Marketings ist das 1988 gegründete US-Unternehmen Seventh Generation, das ungiftige Reinigungsmittel, Windeln, Tampons und Papiertaschentücher anbietet. Solange das Unternehmen mit dem Öko-Argument an das schlechte Gewissen appellierte, hatte es Mühe, am Leben zu bleiben.

Zur Jahrtausendwende änderte es den Auftritt: Jetzt vermarktet es seine unparfümierten, reinen Produkte unter der Rubrik "Besser für dich", und viele Leute, die es "pur" wünschen, tun sich mit Seventh Generation jetzt was Gutes. Heute macht der Laden mit 50 Angestellten 100 Mill. Dollar Umsatz. Merke: Verhärmtes Gebrabbel im Sinne von "Unser Produkt ist weniger schädlich" funktioniert nicht. Grüne Ware muss lustvoll als "Wir sind besser" rüberkommen.

Heute kauft nur noch eine Minderheit asketischer Sandalenträger Schrumpelrübchen im Reformhaus, damit die Welt genese. Stattdessen langen Hedonisten in ihren Tod's auf dem Ökomarkt zu, weil Biofood erstens besser schmeckt und es zweitens in vielen Kreisen nicht mehr geht, sich mit Billigfleisch aus dem Supermarkt erwischen zu lassen. Mal mit 'ner fiesen Currywurst vom Stand zu sündigen ist ein Ding, aber mit Legebatterien-Eier im Einkaufswagen gesehen zu werden, ein ganz anderes. Wir kaufen schließlich nicht mehr Lebensmittel, sondern Jugend, Gesundheit, Fitness und das gute Gefühl, unseren Kindern "das Richtige" vorzusetzen.

Ähnliche Trends gibt es in der Mode. Mit den Rupfensäcken aus den Tagen der Friedensbewegung würden die meisten Leute nicht mal den Küchenboden wischen. Die Eco-Jeans aus dem Hause Levi's jedoch wird mit Interesse zur Kenntnis genommen. Und zwar nicht, weil die chemischen Färbemittel der herkömmlichen Denimproduktion umweltschädigend sind, sondern, weil Leute wie Johnny Depp oder Liv Tyler mit dieser unterschwelligen Öko-Ausstrahlung so sexy aussehen.

Die Eco-Jeans sollte aber besser tatsächlich mit Naturfarbstoff hergestellt sein, wie ihre Hersteller behaupten, sonst droht der Al-Gore-Effekt. Der US-Ex-Vizepräsident erschütterte uns erst mit seinem Film über die Klimakatastrophe und dann mit der Nachricht, dass sein Privathaus in Nashville mit Pool und acht Badezimmern im vergangenen Jahr 221 000 Kilowattstunden Strom verbrauchte.

Verbraucher der heutigen Spaßgesellschaft wollen vielleicht nicht den Planeten retten, sondern sich nur selbst was Gutes tun. Wenn sie aber einen Premiumpreis für ein gesundes, ökologisch wertvolles Produkt berappen und dann feststellen müssen, dass sie einer Ente aufgesessen sind, wird die Marke gnadenlos abgestraft. Ohne Glaubwürdigkeit kann man vielleicht Politik betreiben, aber nicht Marketing für das Gute, Wahre, Schöne.

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