Flasche leer im Getränkemarketing?

Von Peter Littmann

Ines aus der Buchhaltung bringt Selbstgebackenes mit und Klaus aus dem Einkauf macht in der Teeküche Glühwein, irgendwer hat die Tanne im Hof malträtiert und Nadelwerk verteilt. Hans aus der Poststube ist schon seit Stunden mit dem Cognac zugange. Es weihnachtet! Als endlich die Kerzen angezündet sind, hat Klaus Ines auf dem Schoß und alle singen. Nicht wegen „Oh, du selige“, sondern wegen betrunken. Alle Jahre wieder sind die Dezemberfeierlichkeiten ein Anlass zu Recherchen im Getränkemarkt.


Bei sinkendem Alkoholkonsum ist der voller denn je. Die Babyboomer werden alt und saufen weniger. Doch gleichzeitig war das Angebot an Bier, Wein, Sekt, Likör, Schnaps, Alcopops und Magenbitter nie größer. Wie differenziert sich da die einzelne Flasche? Durch das Alter des Weinguts... per Geheimrezept für katerfreien Rausch... mittels handgepflückter Schoten im Wodka mit Vanillegeschmack? Alles nette Ideen, aber am Ende heißt die Antwort: Über intelligentes Branding und Marketing. Betonung auf intelligent, denn seit 1987 haben sich die klassischen Werbeausgaben der Spirituosenindustrie verdoppelt, während der Konsum gleichzeitig um 15 Liter Fertigware pro deutschen Kopf sank. Vor der Glotze begegnen einem jetzt schon durchschnittlich neun Alkoholszenen pro Stunde – die Botschaft, dass nur Saufen das Leben lustig mache mit weiteren Spots noch zu vertiefen, klingt nicht nach Spaß, sondern nach Verzweiflung.
Andere Wege erscheinen viel versprechender. Das geht mit der Verpackung los, die höhere Kontaktquoten hat als klassische Medien. Obendrein ist sie billiger: Berücksichtigt man, wie oft Verbraucher mit Verpackungen in Berührung kommen, ist ihr Tausenderkontaktpreis nicht zu schlagen. Da sind gute Ideen gefragt! Saisonaler Natur beispielsweise – Jägermeister packt zu Fasching schon mal Karnevalsorden zu den Fläschchen. Weihnachten würde sich eher eine festlich dekorierte Wasserpistole anbieten – zur Abwehr der alljährlich anreisenden Schwiegermutter. Oder so was in der Art.
Ein anderes Thema sind Namen. Bei Wein sind exzentrische Bezeichnungen schon länger üblich, bereits unsere Großmütter sündigten gerne mal mit “Pfaffenberg” oder “Nonnenfürzchen”. Für Bier jedoch kommen kreative Namen gerade erst auf. Eine schöne Geschichte stammt aus Kanada. Da fiel dem Chef einer Brauerei auf, dass sich kein Mensch “Backwoods Brewing Timerwolf Pale Ale” merken konnte. Besonders wenn er schon ein paar intus hatte. Nun heißt das Zeug “Dead Frog” und die Zapfhähne zieren grüne Frosch-Schenkel.
Das Unternehmen musste zwar ein paar Grünen bestätigen, dass beim Brauen keinerlei Frösche zu Schaden kommen, aber ansonsten war der neue Name eine gute Idee – der Umsatz stieg seither um 25 Prozent. Nicht schlecht für ein kleineres Unternehmen, das ohne größeres Marketingbudget mit Riesen wie Budweiser konkurrieren muss. Für kleine Anbieter gilt in Sachen Namensgebung: Sicher ist gefährlich und gefährlich ist sicher. In den übervollen Regalen der Getränkehändler werden Namen gewinnen, mit denen sich Geschichten erzählen lassen. So verkaufen die Kanadier beispielsweise nebenher erfolgreich T-Shirts mit Sprüchen wie “There's more hops in a dead frog” und spielen dabei mit der Doppelbedeutung von “hops”, was im Englischen einerseits für Hopfen und andererseits für Hüpfen steht.
Wenn nicht nur Geldmangel, sondern auch der Staat Alkoholwerbung im Fernsehen und auf großen Sportspektakeln verbietet, wie schon in Frankreich und der Schweiz zum Beispiel, müssen andere Wege gefunden werden. Deswegen hat beispielsweise Heineken auf den Champs Elysées unter dem Namen “Culture Bière” einen schicken Laden aufgemacht. Die Speisekarte ist farblich so gestaltet, dass sie auf das richtige Bier zum Gericht verweist. Die Franzosen, eigentlich auf Wein gebucht, sollen lernen, dass die Farben, Aromen und Geschmäcker von Bier ähnlich interessant sind wie die von Wein.
Grand Marnier machte auf dem Pariser Boulevard Haussmann ein “Cocktail Labor” auf. Da treten publikumswirksam renommierte Köche auf, die vor Ort neue Rezepte entwickeln – mit den Produkten des Hauses, versteht sich. Auf der Website offenbart sich der Hintersinn der Aktion: Getränke werden als Lifestyleprodukte positioniert, denn in Netz werden nicht mehr Waren vermarktet, sondern Rezepte für Cocktails und Tipps zu Inneneinrichtung und Beleuchtung gegeben, um die richtige Atmosphäre für den Drink zu schaffen. Am besten eine, die so geist-voll ist wie die an Weihnachten.

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