Das neue Imperium der Coolness liegt im Osten

Von Peter Littmann

Ein breit gestreuter Bekanntenkreis hat Vorteile. Bei Meiers gibt es immer den letzten Schrei – den aktuellen Klatsch, ebenso wie die nagelneue Einspielung irgendwelcher Konzerte mit dem jüngst entdeckten Wunderkind. Wie immer bei Wunderkinder: Das meiste davon muss man nur einmal hören. Bei Müllers hingegen wird seit Jahren immer Wein vom selben Gut serviert, hanseatischer Geldadel schätzt keine Experimente. Schmitts hingegen sind in der wohltemperierten Mitte: Sehr trendfreudig, aber erst dann, wenn das Neueste schon so arriviert ist, das es in Imagefragen ungefährlich wird.


Schmitts sind neuerdings auf dem Japantrip und das will was heißen. Bei der letzten Dinnerparty war sogar am Salatdressing Sojasoße. Die Dekoration bestand aus lauter kleinen Porzellankatzen, die Glück und Wohlstand bringen sollen. Über dem Sofa hing ein langes Pergament mit einer kreisrunden Kalligrafie, die schätzungsweise „Harmonie“ oder so was in der Art verstrahlen soll. Auf dem Sofa darunter las Sohnemann Manga-Comics. Das Tischgespräch drehte sich um die Entscheidung des Hausherren, die seit Jahren präferierte noble deutsche Automarke zugunsten eines leisen Lexus fallen zu lassen.
50 Jahre Popkultur und Hollywoodfilme Made in USA hin oder her, das neue Imperium der Coolness liegt im Osten. In der vergangenen Dekade wurde Japan zu einer Macht in einer ganzen Reihe von durch Mode- und Designfragen getriebenen Branchen. Von den allgegenwärtigen Sushibars mal ganz abgesehen (sogar in Moskau soll es inzwischen über 200 davon geben und Kikkoman, die führende Marke unter den Sojasoßen, hat in USA einen Marktanteil von 55 Prozent), beherrscht Japan ganze Segmente des Spielzeug-, Unterhaltungs-, Handy- oder Automarktes.
60 Prozent aller Zeichentrickfilme stammen aus Japan, manche standen Pate für kalifornische Produkte wie „Matrix“ oder „Kill Bill“. „Pokemon“ wird in 68 Ländern ausgestrahlt. Millionen von Schulmädchen laufen mit Hello-Kitty-Täschchen durch die Gegend, Jpop – japanische Popmusik - hat eine riesige Fangemeinde. Architekten wie Leoh Ming Pei oder Künstler wie Takashi Murakami bestimmen das Gesicht vieler Metropolen, das kulturell interessierte Establishment weltweit liest Romane von Kenzaburo Oe und Haruki Murakami. Die Zahl der Leute außerhalb Nippons, die Japanisch lernen, hat sich seit 1990 verdreifacht.
Viele japanische Unternehmen haben sich von notorischen Kopierern westlichen Stils zu designstarken Marketingexperten mit ganz eigener Handschrift entwickelt. Die Gründe dafür – die Konkurrenz aus Korea und China, die billiger produziert, forderte neue Differenzierungsmerkmale – sind interessant, noch mehr die Folgen. Wo die Welt auf der Suche nach neuen Trends bislang nach London, Mailand, New York und Los Angeles starrte, empfiehlt sich heute ein Blick nach Japan. „Die USA waren für eine sehr lange Zeit das Zentrum der Weltkultur. Nur sie hatten das Prestige, gleichzeitig Film, Musik und Essgewohnheiten zu beeinflussen - aber das gilt nicht mehr“, sagt Anne Allison, Kulturanthropologin an der Duke University.
Selbst die amerikanische Jugend scheint sich inzwischen mit den Insignien der US-Popkultur wie Jeans und Coca-Cola zu langweilen. Die Teamsportarten der Amis wie Football, Baseball und Basketball verlieren laut Marktforschungsgesellschaft American Sports Data an Beliebtheit, dafür stieg die Zahl der Betreiber asiatischer Kampfsportarten seit der Jahrtausendwende um 30 Prozent. Die Kids, die mit Computerspielen japanischer Produktion aufgewachsen sind, weiten ihr Interesse ganz offenbar aus auf andere Produkte aus Nippon.
Insofern treiben sich die Heerscharen der Trendforscher heute nicht mehr in Venice Beach herum, sondern in Japans Metropolen, wo auch Leute wie Stuart J. Levy zu finden sind, Gründer von Tokyopop, einem Unternehmen, das USA mit Manga-Comics beliefert. Ein Markt, der inzwischen 150 Millionen Dollar jährlich wert sein soll. Wer also wissen will, was in ist, frage nicht die Schmitts aus Pöseldorf und auch nicht Familie Smith aus Manhattan, sondern junge, urbane Japanerinnen. Die sagen allerdings nicht „cool“ sondern „kawaii“ was soviel heißt wie „süß“.

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