Fernsehen ist jetzt endgültig mobil

Von Peter Littmann

Früher delektierten sich einsame traurige Männer mit dem Fernglas am Nacktbadestrand. Heute stellt jedes karrieregeile Starlet, jeder aufstrebende Musiker, jeder Teenager mit Identitätsproblemen ein selbst gebasteltes Video ins Netz. 65 000 davon tauchen täglich allein bei der Videobörse Youtube.com auf - und das Publikum delektiert sich mit Begeisterung, wenn andere faktisch oder im übertragenen Sinne die Hosen runterlassen. Sozusagen Voyeurismus 2.0.


Möglich gemacht hat diesen Big Bang Apples Video-iPod, mit dem sich neben Musikclips auch alle möglichen anderen bewegten Bilder aus dem Netz laden lassen. Seitdem breitet sich das Thema Web-Video schneller aus als das gute alte Universum. Yahoo in den USA verzeichnet im Monat 16,5 Millionen Besucher auf seinen Videoseiten, MSN 15,6 und AOL 12,9 Millionen auf seinen. Fernsehen ist endgültig mobil - inzwischen packen sich die Leute ihre Lieblingsserien aufs Handy, gucken Sportsendungen auf dem MP3-Player und Nachrichten auf dem Laptop.

Wo die Aufmerksamkeit ist, sind die Marketingexperten nicht weit. Marktforscher erwarten ein Volumen rund um die Online-Streams von 2,35 Milliarden Dollar bis 2010 - dabei weiß noch keiner zu sagen, welche Summe wohin fließen und wer mit was Geld verdienen wird. Die größten Medienkonzerne der Welt wie AOL Time Warner, Disney oder News Corporation laborieren an der Frage, wer sich wann wo was anguckt. Gemeinsam ist den Tycoons zweierlei: Sie wollen das Schicksal der Musikindustrie vermeiden, die sich nicht recht auf das Internet einließ und nun schlicht von Piraten und Raubkopierern gefressen wird, und sie fragen sich nervös, was das neue Online-Angebot mit dem klassischen Fernsehen anstellt.

Bisher liegt eine große Untersuchung der NBC vor, einer der größten TV-Kanäle in den USA. Manches Ergebnis überrascht kaum: Das neue Medium wird vor allem von den "Millennials" genutzt - den Leuten zwischen 10 und 30, die quasi mit der Maus in der Hand auf die Welt gekommen sind. Sie nutzen die Technik für Filme so, wie sie bisher schon Musik konsumierten. Mit Web-Video werden sie unabhängig von der Programmgestaltung der Sender und laden immer genau das herunter, wonach ihnen gerade ist.

Anderes klingt schon erstaunlicher: Die NBC-Studie besagt, dass die Bilder aus dem Netz das klassische TV nicht kannibalisieren. In vielen Haushalten gucke Mama jetzt halt ihre Soap auf der Glotze, während Papa sich mit dem Notebook die Sportberichterstattung aus dem Netz fischt und Klein Klausi über ein witziges Videoblog auf seiner Spielekonsole kichert. Außerdem würden die Leute Web-Videos vor allem nutzen, um im TV Verpasstes nachzuholen, und nicht, um künftig grundsätzlich alles auf den Screen ihrer Handhelds zu ziehen. Na ja, was sollen sie sonst auch sagen, die Fernsehsender?

Auf jeden Fall braucht es keine hellseherischen Fähigkeiten für den Unkenruf, dass sich dadurch die Werbewelt dramatisch verändert. Alles andere scheint noch offen. Reicht es, die üblichen TV-Werbespots künftig einfach vor oder hinter die Videos zu hängen? Wie reagieren die Zuschauer auf Werbeunterbrechungen im Blog? Sollte sich das Marketing rund um die professionellen Angebote gruppieren, oder sind die privaten Filmchen auf Youtube ein viel wirkungsvolleres Umfeld?

Die Erfahrung zeigt, dass jedes neue Medium seine eigene Werbeform nach sich zieht. Vermutlich müssen also frische Formate her. Warum sollten die Leute die Spots, die sie im Fernsehen wegzudrücken versuchen, lieber gucken, bloß weil sie aus dem Internet kommen statt über Satellit? Das ist das theoretische Argument für Kreativität.

Das praktische lautet: Die bisher erfolgreichsten Spots rund um Web-Videos ähneln eher privaten Blogs als typischer TV-Werbung. Während der Fußball-WM zeigte Nike beispielsweise ein Take von Ronaldinho, das wie ein Mitschnitt aus dem Training wirkte - erst ganz zum Schluss kam der Swoosh der Marke. Andere versuchen, sich mit populären Privatblogs zu verbinden. Ein beliebtes Video stammt beispielsweise von einem Kerl, der um die Welt reiste, überall dasselbe Tänzchen aufführte, sich dabei filmte und das Ganze ins Netz stellte. Nun schickt ein Kaugummiproduzent den Knaben noch mal auf Reisen, und nun tanzt er eben kauend. Die Prognose für die nächste Phase des Voyeurismus 2.0 lautet: Wenn sich Kunden heute noch Spots ansehen sollen, dürfen die das Programm nicht unterbrechen - sie müssen selber das Programm sein.

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