Zynisch bis zum Erbrechen

Von Peter Littmann

Da ist diese junge Frau, mit 31 auf dem Höhepunkt ihrer Modelkarriere. Spindeldürr zwar und mit melancholischem Blick, aber mit einem Gesicht gesegnet, von dem sich unsere Augen nur schwer lösen. Die Projektionsfläche für viele bekannte Marken verdiente im vergangenen Jahr etwa sechs Millionen Euro. Als Mutter einer zweijährigen Tochter und als Ex-Freundin von Schauspielern wie Johnny Depp oder Leonardo DiCaprio löst Kate Moss bei so ziemlich jeder anderen Frau Neidkomplexe aus.


Trotzdem oder gerade deswegen kokst sie. Zumindest zeigten englische Boulevardblätter unlängst, wie sie im Studio von Rockmusiker Paul Doherty, ihrem derzeitigen Gefährten, fünf Linien weißen Pulvers in ihre Nase beförderte. Prompt schreit die Yellowpress: "Wie kann sie nur! Das kleine Luder! Das ist ja wohl typisch für diese verwahrlosten Jetset-Leute: Sind jung und schön, haben alles und kriegen den Hals nicht voll!"

In der Folge kündigte Hennes & Mauritz dem Supermodel die Verträge, Burberry stoppte eine für den Herbst geplante Werbekampagne, und bei Chanel heißt es, ein ohnehin im Oktober auslaufender Kontrakt werde nicht verlängert. Auch die Kosmetikfirma Rimmel lässt Moss nach anfänglichem Zögern fallen. Roberto Cavalli, der italienische Designer, bittet eine Sprecherin zu verkünden, er sei "sehr wütend" über die Presseberichte, und dass er zu der Britin stehen würde, weil er "total gegen Drogen" sei. Sind wir das nicht alle?

Der Vorgang ist der Gipfel der Verlogenheit. Die ganze Branche weiß seit Jahren, dass "Cocaine Kate" ein Drogenproblem hat. Sie wurde bereits mit 14 Jahren "entdeckt" und seither immer wieder berauscht angetroffen. Sie selber hat schon vor langer Zeit zugegeben, selten nüchtern über einen Catwalk zu stiefeln, und schon gar nicht morgens um zehn. Wörtlich klang das etwa so: "Es war ganz einfach die einzige Möglichkeit, um jeden Abend auszugehen und diese sterbenslangweiligen Abendessen durchzustehen. Man hat den ganzen Tag gearbeitet und muss noch immer aussehen, als mache es Spaß." Modeln ist offenbar doch nicht ganz so toll, wie massenhaft dumme kleine Mädchen glauben.

Viele werden sich jetzt an den Fußballtrainer Christoph Daum erinnern, den das Pulver seinerzeit nicht nur den Job bei Bayer Leverkusen kostete, sondern auch einen Werbevertrag mit RWE. Doch da gibt es ein paar kleine Unterschiede. Erstens haben weder Sportverein noch Energieversorger je wie die Modelabels mit "Heroine Chic" geworben oder und superdürre, blasse Menschen zum letzten Schrei erklärt. Zweitens veranstaltete Daum, als seine Sucht aufflog, ein Schmierentheater erster Ordnung, fälschte eine Haarprobe und ventilierte Verschwörungstheorien. Kate Moss hingegen hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass sie Mühe hat, an Kokain oder Alkohol vorbeizugehen. Heucheln tun in ihrem Fall nur die vermeintlichen Opfer, die Werbung treibenden Konzerne, die ihre Kampagnen jetzt stoppen.

Vertreter derselben Fashionindustrie übrigens, die in den 90er-Jahren auf ausgemergelte Gestalten setzten, die aus dem Heroinfilm "Trainspotting" hätten stammen können. Damals feierte die ganze Branche den Knochenturm Moss als angesagten Frauentyp, was für das Mädchen 1998 zum ersten Mal in einer Entzugsklinik endete. Calvin Klein, für den sie jahrelang als blasse "Eternity"-Muse tätig war, setzte ihr den Stuhl vor die Tür. Spätestens seitdem wissen alle, die es wissen wollen, wie Moss es schafft, ihr Fliegengewicht zu behalten und diesen weggetretenen Blick auf ihr Antlitz zu zaubern.

Doch die Skandale haben ihrer Karriere so wenig geschadet wie die 80 Zigaretten, die sie angeblich am Tag raucht. Im Gegenteil: Sie galt als interessant, als sperriges Antimodel. Bands widmeten ihr Songs, und Maler wie Lucien Freud ließen sich von ihr inspirieren. Ach ja, und natürlich die Verantwortlichen von Chanel, Burberry und H&M.

Doch jetzt, wo auch in der Zeitung steht, was längst die Spatzen von den Dächern pfeifen, lässt die Modeszene Moss fallen wie die heiße Kartoffel, die das Model aus Gewichtsgründen niemals essen darf. Mutig, mutig, kann man da nur sagen und sich gebührend wundern, dass die Beauty-Industrien den Ruf haben, oberflächlich zu sein. Und zynisch bis zum Erbrechen.

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