Krümel vom Tisch
Die internationale Uhrenindustrie gab allein in England im vergangenen Jahr über 36 Millionen Euro für Printwerbung aus – plus weitere Millionen für TV- und Kino-Spots, Poster- und Direktmail-Aktionen sowie Radiojingles. Da muss ein Marketingmensch sich schon was einfallen lassen, um in diesem vielstimmigen Ticktack noch gehört zu werden. Beispielsweise 500 Gäste der guten Gesellschaft zu einem Galadinner bitten, damit sie da eine Aktion gegen Pädophilie im Internet unterstützen. Erst gab Sting ein einstündiges Rockkonzert, dann wurde gesteigert. Die Kombination aus schönen Uhren und dem Wissen um einen guten Zweck gibt beim reichen Publikum eine spendierfreudige Mischung: Die Chronographen von Audemars Piguet bis Zenith gingen für ein Vielfaches ihres Einzelhandelspreises weg, und die gute Sache fand ihr Konto um eine drei viertel Million Euro bereichert. Die Uhrenhersteller freuten sich über einen dreispaltigen Artikel in der "Financial Times" und andere Lobgesänge.
Worum geht es hier? Um den Kampf gegen Kinderpornografie im Internet? Um Erlebnisshopping für gehobene Stände? Oder um Marketing, sprich die freundlichen Artikel in den wichtigsten Zeitungen der Welt? Viele meinen, der gute Zweck heilige fast jedes Mittel. Doch das reine Herz nimmt man nicht immer und nicht allen ab – besonders dann nicht, wenn die Partys der Charitydamen so glitzern, dass die Klatschseiten der Boulevardblätter sich nur so überschlagen. Wer einfach nur helfen will, kann das auch tun, ohne dafür die große Abendrobe zu bemühen.
Teuerste Luxuswaren werden in der Regel eben nicht mit ethisch besonders wertvollem Verhalten assoziiert. Wenn Wohltätigkeitsaktionen die Normalverbraucher also zynisch stimmen, weil mal wieder die oberen Zehntausend huldvoll ein paar Krümel von ihrem reich gedeckten Tisch fegen lassen, ist irgendwas gründlich danebengegangen.
Häufig wäre es ehrlicher und einfacher, das ganze Gutmenschengetue sein zu lassen und jedwede Hilfsaktion von vorneherein "Sponsoring" zu nennen. Dann ist ganz klar: Das ist per se eine Partnerschaft zwischen einer Non-Profit-Gesellschaft und einer nach Gewinn strebenden Organisation zum beiderseitigen Segen. Das Unternehmen leiht sich das positive Image einer guten Sache, um das eigene aufzupolieren, und die gute Sache kriegt dafür Bares. Wenn das ordentlich gemacht ist, profitieren in der Tat auch alle Beteiligten. Denn Menschen helfen einander eigentlich gern. Zumindest sagten in einer US-Studie 84 Prozent der Befragten, sie würden bei gleichem Preis und gleicher Qualität jederzeit die Marke wechseln, um eine zu stützen, die sich humanitär engagiert.
Wenn allerdings herauskommt, dass ein sich selber munter lobendes Unternehmen dem guten Zweck von vorneherein nur Centbeträge zukommen lässt oder ein Vertrag öffentlich wird, aus dem hervorgeht, dass etwaige Umsatz- und Gewinnsteigerungen ausschließlich dem Unternehmen zugute kommen, ist der Schaden gewaltig. Nichts ist schlimmer, als wenn hinter der Maske des Wohltäters plötzlich das Gesicht der Raffgier aufscheint. Wenn ein Zigarettenhersteller sich als Sponsor einer Nichtraucheraktion aufspielt, kommt das ungefähr so gut an wie die dubiosen Methoden, mit denen das amerikanische Rote Kreuz nach dem 11. September auf Spendensuche gegangen sein soll.
Für alle, die ethische Gründe für ihr Handeln bemühen, gilt: Glaubwürdigkeit ist das A und O. Wer die nicht hundertprozentig garantieren kann, sollte die Dinge lieber beim Namen nennen und gleich "Verkaufsförderung" draufschreiben. Wenn das lokale Wasserversorgungs-Unternehmen einen Naturschutzverband sponsert, der sich vor Ort engagiert, um einen Flusslauf zu renaturieren, ist das logisch und schafft Wohlwollen. Wenn die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young das Weltwirtschaftsforum in Davos "sponsert", ist das zwar auch logisch. Aber es hat keinen der Allgemeinheit dienlichen Zweck. Schließlich treffen sich da die Vorstände, die Ernst & Young mit Aufträgen versorgen. Und wenn die Zahlenjongleure nach all den Skandalen, in die auch Wirtschaftsprüfer verwickelt waren, in Davos auch noch Veranstaltungen zum Thema "Building Trust" bestreiten, riecht das nicht nach Aufklärung, sondern nach Persil.