Ewiger Streit zwischen Besitzern und Baumumarmern

Top Technics: Promotion

Von Peter Littmann

Wenn die Menschheit es nur sein lassen könnte, ständig irgendwas zu wollen, wäre die Welt ein besserer Platz. Diese Idee ist wieder en vogue, beispielsweise bei der Harvard University Press, die ein Buch verkauft mit dem Titel „Does Ethics Have a Chance in the World of Consumers?“ Die Antwort ist selbstredend negativ – und genauso wie die Frage selbst - uralt. Der Buddhismus verspricht seit Jahrhunderten Erleuchtung durch die Überwindung von Begierden; der Westen liebt die Geschichte von Diogenes. Der lebte so bescheiden, dass sogar Alexander der Große ihn bewunderte. Als er den in einem Fass lebenden Philosophen fragte, ob er etwas wolle, antwortete dieser: „Bitte geh mir aus der Sonne!“.

Es ist einerseits verständlich, wenn Menschen in wirtschaftlich schweren Zeiten zum Konsumverzicht aufrufen und so die Not zur Tugend erklären. Das schützt sie gleichermaßen vor Gerichtsvollzieher wie Gesichtsverlust. Andererseits gibt es jedoch auch die Triebtäter: Die Baum-Umarmer, die aus Prinzip jeden Shoppingtrip zum Sündenfall erklären. Wenn es nach ihnen ginge, würden wir alle in Öko-Baumwolle aus dem Dritte-Welt-Laden herumlaufen. Waschen dürften wir die Klamotten allerdings nur zwei Mal im Jahr ohne Seife, weil sonst das Grundwasser und die Energiebilanz leiden. Jede Plastiktüte wird behandelt wie eine Satans-Anbetung. Diese Weltenretter nerven derart, dass selbst gestandene Mittfünfziger gleich mal den Motor aufheulen lassen.

Die Macho-Müslis sind so ärgerlich, weil sie uns Askese nicht etwa als notwendige Reaktion auf die übermäßige Strapaze begrenzter Ressourcen nahe legen, sondern als einzigen Weg zum persönlichen Glück und zum allgemeinen Weltfrieden. Ihre wesentlichen Argumente lauten: „Die Gesellschaft propagiert Einkaufen als Heils-Versprechen. Das kulturelle Mantra ist die permanente Selbst-Definition einer Person durch Marken, dem angeblich einzig stabilen Gut in einer unberechenbaren Gegenwart. Doch selbst Markenprodukte sind nicht mehr vor Dauer, heute hat alles eine Saison, eine eingebaute Sollbruchstelle oder ein Verfallsdatum. Das schafft eine Bereitschaft wegzuwerfen, die so tief reicht, dass wir auch Menschen als austauschbar betrachten. Wir besitzen nicht mehr Dinge, sondern die Dinge besitzen uns“.
Klingt gut, ist aber nur zum Teil richtig. Ohne Konsum kein Wachstum und ohne das leiden als erstes die Schwächsten - und die Natur. Was die gegenwärtige Krise leider zeigt. Wer ein Kind hat, das ohne ein bestimmtes Stofftier nicht schlafen kann, weiß um die tiefe Beziehung zwischen Mensch und Ding. Ebenso alle, die Bücher lesen und aufbewahren, auch wenn sie die bei Umzügen immer wieder die Treppen hoch schleppen müssen. Es soll Leute geben, die beim Hausbrand als erstes die Kunst an ihren Wänden retten. Viele Menschen tragen dasselbe Schmuckstück ein Leben lang und das nicht etwa, weil der Goldpreis bei 1000 Dollar liegt. Ein Freund fährt einen Porsche, der genauso alt ist wie er selber: Den hat für den Preis eines neuen japanischen Kleinwagens rundum verzinken lassen, damit er noch ein paar Dekaden hält. Ein anderer benutzt seit Jahren dasselbe Mobiltelefon, das erste RAZR von Motorola, er sagt, er hat nie ein schöneres gefunden.
Viele Familien sammeln die Weihnachtsdekoration über Generationen und am Heiligen Abend sitzt immer derselbe gammelige Engel oben auf der Tannenspitze. Ich habe Frauen weinen sehen, weil ein ererbtes Kristallglas brach. Alte Apple-Computer haben bei Eingeweihten Kultstatus. Viele Bekannte verschenken nur noch „Selbstzerstörendes“ wie Wein, Tee, Schokolade, wertvolle Salatöle oder Parfüm – geben dafür aber mehr aus, als die ansonsten üblichen Staubfänger kosten würden.
Soll heißen: Die Frage, ob ein Leben voll oder ein leer ist, glücklich oder nicht, hat oberhalb der Grundversorgung nichts mit der Menge an Dingen zu tun, die wir besitzen. Mensch zu sein bedeutet jedoch immer auch, uns auch mit Dingen auszudrücken. Schon recht: „Ich kaufe, also bin ich“ ist eine Idee von Idioten für Idioten. Normale Leute denken aber doch gar nicht so, sie empfinden: „Ich habe, also freu ich mich.“

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