Mode für die neue Mitte

Brandeins

Mode für die neue Mitte Wie macht man aus einer kriselnden Textilfirma eine der weltweit erfolgreichsten? Indem man sich weniger dumm anstellt als die Konkurrenz. Sagt Heinz Krogner, Chef von Esprit und Freund klarer Worte.

Der Mann ist 62, klein, kräftig, hat raspelkurze Haare und erstaunlich blaue Augen. Er trägt ein Brioni- Sakko, ein Versace-T-Shirt und Esprit-Jeans. Das ist, wie fast alles, was Heinz Krogner tut, kein Zufall. Aber dazu später. Lassen wir den Deputy Chairman und Group CEO der Esprit-Holding Ltd. erst einmal reden in seinem lichten Büro in der lichten Firmenzentrale in Ratingen bei Düsseldorf. Es ist amüsant, ihm zuzuhören, weil er sich nicht so verschwurbelt ausdrückt wie andere Vorstände. Krogner redet Klartext und liefert in einer Mischung aus Bayrisch und Englisch viele saftige Zitate. Die saftigsten will er allerdings nicht gedruckt sehen.

Richtig in Fahrt kommt er, wenn man ihn nach Mode fragt. Ein Wort, dass er nicht mag, weil es für ihn schwammig klingt und nach überkandidelten Couturiers. Solche Leute haben bei ihm nichts zu melden. In seiner Firma werden die Designer erfolgsorientiert bezahlt, das heißt: Je besser sich ihre Modelle verkaufen, desto mehr verdienen sie. Ein Prinzip, das ungemein erde, wie Thomas Grote mit leichter Ironie bemerkt. Er ist Executive Director Sales und Marketing und ein enger Mitarbeiter des Chefs.

Die geerdete Kreativität funktioniert laut Krogner so: Man schaue sich die Megatrends an und das, was die angesagten Designer machen, und überlege, "was unsere Kundin davon kaufen würde, wenn sie das Geld hätte. Dann nehmen wir das und interpretieren es so, dass unsere Kundin es kauft". Seine idealtypische Kundin ist 28 - ein Alter, mit dem sich alle Frauen gern identifizieren -, kommt aus der Mittelschicht, mag unprätentiöse Sachen und gute Qualität, die nicht allzu viel kostet.

Experimente überlässt Krogner gern der Konkurrenz. "Unsere Industrie ist sehr emotional, kaum jemand denkt strategisch." Das sei seine Chance: " Viele Firmen, die ihr Geschäft aus dem Bauch heraus betreiben, werden verschwinden." Dann fügt er, für seine Verhältnisse recht bescheiden, hinzu: "Die Schlauheit des Fuchses basiert auf der Dummheit der Hühner." Mitleid mit den dummen Hühnern, die die Fußgängerzonen räumen müssen, um für Esprit und andere Global Player Platz zu machen, hat er nicht. Es gebe sowieso viel zu viele Marken, selbst Frauen könnten mit weniger auskommen.

Esprit, 1968 in San Francisco geboren, war im zarten Alter von 27 selbst nahe dran, vom Markt zu verschwinden. Damals übernahm Krogner als Geschäftsführer in Deutschland den Job des Sanierers. Ein Bekannter habe zu ihm gesagt: "Wie kannst du zu dieser Firma gehen? Diese alten Hippies sind doch out." Esprit schrieb tiefrote Zahlen, die Zuständigkeiten in der damaligen Düsseldorfer Zentrale waren unklar, die Manager blockierten sich gegenseitig, Kaufhäuser wie Karstadt drohten bereits damit, die Marke auszulisten.

Krogner machte kurzen Prozess. An die hundert Mitarbeiter, darunter fünf Geschäftsführer, mussten gehen. Die Firma wurde gründlich umorganisiert. Alles, was wie die Muster- und Schnittfertigung ausgelagert werden konnte, wurde ausgelagert. Jede Produktlinie (Damenoberbekleidung, Schuhe etc.) bekam einen eigenen Chef - weil man den, so Krogner zur "Financial Times Deutschland", rauswerfen kann, wenn's nicht läuft.

Krogner positionierte die Marke da, wo man nach Ansicht vieler im Einzelhandel nur verlieren kann: in der Mitte Es lief aber. Ein Dreivierteljahr, nachdem "Mr. Esprit" (Krogner über Krogner) ans Ruder gekommen war, schrieb das Unternehmen schwarze Zahlen. Heute leitet Krogner das am schnellsten wachsende Textilunternehmen der Welt und eines der drei profitabelsten. Gern weist er daraufhin, dass Michael Ying, Aufsichtsratsvorsitzender der Holding und Mehrheitsaktionär, heute mit einem Vermögen von 1,8 Milliarden Dollar in der "Forbes"-Liste der 500 Reichsten steht und dass das früher nicht der Fall war.

Tatsächlich können sich die Shareholder der seit 1993 an der Börse in Hongkong gelisteten Firma über Krogner nicht beschweren. Allein in der ersten Hälfte des laufenden Geschäftsjahr 2003/2004 stieg der Umsatz um fast ein Drittel auf rund 848 Millionen Euro, der Nettogewinn sogar um mehr als die Hälfte auf mehr als zehn Prozent des Umsatzes. Das Geschäft floriert vor allem in Europa und dort vor allem in Deutschland. Wie ist das möglich in einer schrumpfenden Branche mit verfallenden Preisen, geizigen Kunden und allerorten jammernden Händlern?

Wahrscheinlich haben sich da zwei gefunden: die richtige Firma und der richtige Mann.

Krogner ist einer, der früh gelernt hat, sich allein durchzuboxen. Er stammt aus dem ehemaligen Sudetenland, die Mutter starb, als er anderthalb Jahre alt war, vom Vater, einem Textilunternehmer, wurde er während des Krieges getrennt. Er lebte einige Jahre in Flüchtlingslagern und fand seinen Vater schließlich in Ostdeutschland wieder. Mit ihm setzte er sich in den fünfziger Jahren in den Westen ab, sie landeten schließlich nach mehreren Stationen in Bayern. Krogner junior studierte Verfahrenstechnik mit dem Schwerpunkt Rationalisierung, dann Wirtschaftswissenschaften, arbeitete als Geschäftsführer in verschiedenen Textilfirmen, unter anderem bei der Asko Gruppe, wo er die Discount-Kette Adler integrierte, und bei Mac Jeans. Er machte gute Jobs - bei wenig aufregenden Firmen. Außerdem war Krogner zehn Jahre Consultant bei der auf die Textilbranche spezialisierten Unternehmensberatung Kurt Salomon Associates. Mit Erfolg, versteht sich: " Ich hatte als Unternehmensberater 180 Probleme zu lösen und habe vielleicht fünf nicht gelöst." Der Mann, der so von sich überzeugt ist, hatte immer wieder auch eigene unternehmerische Ambitionen. Einmal, so erinnert er sich und wird dabei richtig sauer, sei ihm als erfolgreichen Geschäftsführer von einem Firmeninhaber eine Beteiligung versprochen worden. Aber der habe sein Wort gebrochen, und da habe er, Krogner, umgehend die Brocken hingeworfen.

Einer wie er lässt sich ungern an der kurzen Leine führen.

Dann kam das Angebot von Esprit. Ein Job mit weit reichenden Vollmachten. Eine tolle Marke, die sich wieder wachküssen lassen müsste.

Esprit ist ein Kind der sechziger Jahre. Die Gründer Douglas und Susie Tompkins verkauften ihre ersten selbst genähten Sachen in Kalifornien vom Rücksitz ihres Kombis aus und kreierten einen ganz eigenen Stil. Mode für Teenager, helle, bunte Farben, klare Schnitte und das Esprit-Logo in den Blockbuchstaben - schon bald heiß begehrt. Denn auch geschäftlich hatte Douglas Tompkins ein gutes Händchen. 1974 gründete er mit dem Hongkonger Geschäftsmann Michael Ying ein Gemeinschaftsunternehmen. Ying ließ die in den USA entworfene Mode in Asien billig nähen. Ende der siebziger Jahre expandierte Esprit mit Hilfe des Düsseldorfer Unternehmers Jürgen Friedrich nach Europa. Die Auslandsgesellschaften wurden unabhängig von den USA geführt. Bis Ende der achtziger Jahre ging es aufwärts mit Esprit, dann begann der Stern zu sinken. Neue, junge Marken machten der Kette Konkurrenz; außerdem zerstritt sich das Gründerpaar und ließ sich scheiden. Die beiden verkauften ihre Anteile 1989 an einen Risikokapital-Fonds. Douglas Tompkins betätigt sich heute als Öko-Unternehmer: In Chile hat er ein riesiges Waldgebiet gekauft und unter Schutz gestellt. Nach seinem Ausstieg ging es mit Esprit weiter abwärts. In den Vereinigten Staaten wurde das Unternehmen mehr schlecht als recht geführt, und auch in Asien und Europa dümpelte das Geschäft vor sich hin.

Bis Krogner 1996 die Wende einleitete. Und Esprit geschickt dort positionierte, wo man nach Ansicht vieler im Einzelhandel eigentlich nur verlieren kann: in der Mitte. Also zwischen Discount- und Premiummarken, zwischen H &M und Zara auf der einen, Boss und Prada auf der anderen Seite.

Esprit macht manches anders als die Konkurrenz und vieles besser. Zum Beispiel keine exzentrische Werbung " Die Mitte", sagt Krogner, "ist nicht tot, es gibt eine neue Mitte, die rasant wächst. Sie ist international, sehr qualitäts- und preisbewusst." Die Unter- und Mittelschichten konsumierten heute genauso viel wie einst die Reichen, nur in schlechterer Qualität. "Diese Leute können nicht noch mehr, sondern nur besser konsumieren." Deshalb setzt er konsequent auf Qualität und lässt lieber einen Trend aus, als schlecht verarbeitete Ware auf die Ständer zu hängen.

Und auf eine ausgeklügelte Preisstrategie. 20 bis 30 Prozent des Sortiments kosten so viel wie die teuersten Stücke der Billiganbieter - "so locken wir eine Menge Kunden von denen an. Das ist unsere Verteidigungslinie. Gleichzeitig greifen wir die Designer an. Die verlangen für ihre Ware das Zehn- bis Zwölffache des Fabrikpreises. Wir können die Sachen für weniger als die Hälfte anbieten und verdienen aufgrund unserer Nachfragemacht immer noch Geld." Den jung gebliebenen Smart Shopper, der Brioni, Versace und Esprit kombiniert, gibt der Chef gleich selbst.

Krogners Konzept der neuen Mitte klingt nach SPD, scheint aber zu funktionieren. Neben Esprit trotzen auch Marken wie etwa Starbucks, Miele oder Puma laut einer kürzlich veröffentlichten Studie der Boston Consulting Group erfolgreich dem allgemeinen Billigheimer-Trend. Nach Ansicht des Branchenkenners und Markenberaters Peter Littmann aus Hamburg hat Esprit dank seines klaren Konzeptes einen Platz gefunden, wo die Firma, anders als die Billiganbieter, "nicht von den Tchibos und Aldis dieser Welt bedroht wird".

Wesentliches hat Esprit mit den großen Konkurrenten H &M, Inditex (Zara) oder Gap gemein. Alle sind so genannte vertikal integrierte Konzerne, die vom Entwurf über die Produktion bis zum Verkauf alle Teile der Wertschöpfungskette kontrollieren, auf einen schnellen Warenumschlag und eine gute Logistik setzen. Allerdings macht Esprit ein paar Dinge anders. So wird der Löwenanteil des Umsatzes nicht mit eigenen Läden, sondern mit anderen Einzelhändlern wie etwa Karstadt gemacht. Die Esprit -Shops dienen vor allem dazu, die Marke bekannt zu machen und herauszufinden, was die Kunden wollen. Dieselbe Funktion hat der E-Commerce, der bei Esprit im Gegensatz zu anderen Modehäusern gut funktioniert. Dort wird getestet, was geht. "Wir stellen ein Produkt ins Internet und wissen zwei Stunden später, ob es ein Renner wird oder nicht", sagt Esprits Marketing- und Vertriebsexperte Grote. "Das ist das Schöne am Netz: Wir können dort auf elegante Weise sehr interessante Informationen sammeln." Vieles machen Krogner & Co besser als die Konkurrenz, zum Beispiel wenig Chichi. "Anspruch und Wirklichkeit klaffen weniger weit auseinander als bei anderen Modehäusern", sagt Peter Littmann. Weniger als bei Benetton etwa, einem Konzern, der wegen seiner Skandalfoto-Kampagne enorm an Glaubwürdigkeit verloren habe. Esprit hält sich dezent zurück und gibt mit weltweit rund 70 Millionen Dollar vergleichsweise wenig für Reklame aus. "Wenn Ihre Marke bekannt ist und Sie Ihre Kunden nicht enttäuschen, brauchen Sie nicht viel Werbung", sagt Krogner.

Sein erklärtes Ziel ist es, Benetton, die Nummer vier auf dem Weltmarkt, in diesem Geschäftsjahr abzuhängen. Mr. Esprit strotzt vor Kraft: "Wir verdienen schon heute so viel Geld, dass wir nicht mehr verdienen müssen, sondern Kostenvorteile an die Kunden weitergeben können." Der Nachfolger von Mr. Esprit soll die ganze Welt mit dem kalifornischen Look aus Ratingen beglücken Bis jetzt hat sich in seiner Ära alles gut gefügt - auch dank eines Eigentümers, der seinem besten Mann viele Freiheiten lässt. Nachdem Krogner Esprit in Europa wieder nach vom gebracht hatte, gab es mehrfach Bestrebungen, die Gesellschaft hier an die Börse zu bringen. Schließlich aber griff Michael Ying, der das Esprit-Geschäft in Asien aufgebaut hatte, zu und wurde Hauptaktionär des Unternehmens. Und bekam Krogner quasi als Mitgift dazu ("Michael sagte zu mir: Du bist die einzige Wahl, und er hatte absolut Recht").

Krogner stieg mit Esprit auf, verantwortet heute nicht nur das Geschäft weltweit, sondern ist auch CEO der Holding, zu der noch die Kosmetikmarke Red Earth zählt. Im vergangenen Jahr kaufte Ying zudem die Rechte an Esprit in den USA. Damit ist der Konzern in einer Hand und gehört zu den wenigen, die weltweit über ihre Marke verfügen - die Grundlage für eine einheitliche Strategie. Ying ließ Krogner machen und wurde reich und reicher. Der Wert der Firma stieg in neun Jahren von weniger als 300 Millionen Dollar auf heute rund fünf Milliarden Dollar.

Jetzt soll das europäische Erfolgsmodell auf Asien und die USA übertragen werden. Andere haben sich mit ähnlichen Expansionsplänen verhoben. Der amerikanische Textilgigant Gap, der etwa 20-mal so viel umsetzt wie Esprit, hat sich jüngst wieder vom deutschen Markt zurückgezogen. Krogner ist selbstverständlich überzeugt, dass er es besser kann - schließlich sei Esprit, anders als die Konkurrenz, schon international. Nämlich eine Firma mit amerikanischen Wurzeln, einem deutschen Chef und einem chinesischen Eigentümer.

Krogners Hauptbeschäftigung ist es, zwischen Asien, Europa und den USA hin- und herzufliegen. Er fühlt sich wie die Spinne im Netz eines virtuellen Unternehmens. Das allerdings zentral und sehr straff geführt wird. In Ratingen achtet man genau darauf, dass die " Stilwelt" (Grote) von Esprit erkennbar bleibt. Mittlerweile hat das Unternehmen nicht nur sein Modesegment erheblich erweitert, sondern lässt von Lizenzpartnern alle möglichen Lifestyle-Produkte herstellen: vom Parfum bis zum Regenschirm. Neuerdings gibt es in den neuen Shops (Esprit Home) auch Wandfarbe, Jalousien und Wohnaccessoires.

Krogner will unbedingt weiterwachsen, zu den Großen der Branche aufschließen, die ganze Welt mit dem kalifornischen Look aus Ratingen erobern. Und er ist überzeugt, dass das gelingen kann, weil die Modebranche immer noch sehr fragmentiert ist. "Mit nur drei Prozent Markanteil weltweit wären wir mit Abstand die größte Modefirma. Das heißt, ich muss nur drei von hundert Mädchen in Tokio, San Francisco oder Schanghai finden, denen das gefällt, was wir auch hier in Düsseldorf anbieten." Er selbst will sich mit der Suche nicht mehr allzu lange beschäftigen, das überlässt er seinem Nachfolger. Krogner hat vor, sich bald schrittweise aus dem operativen Geschäft zurückzuziehen und ein junges Team von zwei, drei Managern aus dem Unternehmen zu ernennen, die unter seiner Anleitung in die Chefrolle hineinwachsen. In etwa einem Jahr soll der Nachfolger feststehen. Krogners Plan klingt ein wenig nach der Fernseh-Casting-Show "Der Lehrling", in der Kandidaten beim Superkapitalisten Donald Trump um einen Job kämpfen. Vor allem aber soll er verhindern, dass ein Nachfolger von außen kommt und das Werk von Mr. Esprit und seinen Leuten zerstört ("Never change a winning team"). Der Nachwuchs steht jedenfalls schon bereit, das Ruder zu übernehmen. "Wir werden unseren Umsatz innerhalb von fünf Jahren verdoppeln", verspricht Thomas Grote, der fast genauso selbstbewusst ist wie sein Chef.

Heinz Krogner wird selbstverständlich nicht auf den Golfplatz wechseln. Er will CEO der Esprit-Holding bleiben und träumt schon von seinem nächsten Projekt: eine internationale Luxusmarke, die pleite ist, kaufen und wieder hübsch machen.

Noch einmal. Weil's so schön war.

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