Chaostheorie fürs Marketing

Von Peter Littmann

Die Welt ist klein! Neulich stand ich bei einer Party mit der Amerikanerin Carly zusammen. Kommt Bruce dazu, ein PR-Veteran aus Washington. Wir alle kannten uns nicht, aber binnen einer Minute stellen Carly und Bruce fest, dass sie beide dieselbe Schule besucht haben. Ich wiederum habe einen Bekannten in London, der schon mal mit Bruce zusammengearbeitet hat. Dieses Phänomen nennen die Angelsachsen "six degrees of separation", und es bedeutet, dass wir nur sechs Bekannte entfernt sind von all den anderen Bewohnern des Planeten.


Mal abgesehen davon, dass diese "kleine Welt" menschlicher Beziehungen ein prima Thema ist, um langweilige Dinnerpartys aufzumischen, ist sie auch Gegenstand der Wissenschaften: "Network Science" heißt der neue Zweig am akademischen Baum. Was hat das mit Marketing zu tun? Schauen wir mal.

Warum schaffte es die spanische Modekette Zara, extrem schnell zu wachsen, ohne dabei einen Cent für Werbung auszugeben? Und warum verbringen die Designer dieser Firma kaum Zeit mit dem Versuch, die Modetrends von morgen zu antizipieren? Stattdessen kaprizieren sie sich darauf, schnell auf Kundenbedürfnisse zu reagieren. Zu Beginn jeder Saison schmeißen sie eine Basisauswahl an Klamotten in den Markt, und dann wird angepasst: Was nicht läuft, fliegt sofort raus zugunsten von Produkten, die schnell drehen. Zara geht ganz offenbar davon aus, dass es nicht möglich ist vorherzusehen, was Konsumenten begehrenswert finden. Wohl aber haben es die Spanier möglich gemacht, binnen zwei, drei Wochen auf Begehrlichkeiten zu reagieren.

Vermutlich kümmert das Zara-Team es nicht einmal, dass es damit an der Spitze einer wissenschaftlichen Bewegung ist. Angefangen hat die mit der Arbeit von Duncan Watts, einem Professor an New Yorks Columbia-Universität, über "kollektive Dynamik". Autor Malcolm Gladwell hat sie zu den Bestsellern "Der Tipping Point" und "Blink" verarbeitet. Darin legt er dar, dass Trends sich verhalten wie Krankheiten, die an einem bestimmten Punkt zu Epidemien werden. Plötzlich laufen alle in Schuhen von Nike herum oder lesen Dan Brown. Dabei kam der Gedanke auf, dass es bestimmte Menschen gibt, bei denen Beziehungen zusammenlaufen, sogenannte "sozio-ökonomische Stars", die wie Verkehrsknotenpunkte wirken. Die Logik für erfolgreiches Verkaufen scheint auf der Hand zu liegen: Wer seine Produkte hipp machen will, muss möglichst viele dieser gut verdrahteten Individuen finden und überzeugen.

Forscher Watts sagt nun aber, die Vorstellung von der Hebelwirkung sozio-ökonomischer Stars sei im Marketing geradezu gefährlich. Das Problem sei nicht, dass nicht einzelne Leute Trends auslösen - denn das tun sie unbestritten. Schwierig sei nur die Vorstellung, dass wir systematisch wissen können, wer künftig was promoten wird.

Dazu hat Watts ein Experiment gemacht: 14 000 Leute sollten Songs beurteilen, von denen sie noch nie gehört hatten. In einer Gruppe musste jeder für sich alleine entscheiden, in der anderen konnten die Teilnehmer sehen, was alle anderen gewählt hatten. In der zweiten Gruppe, der "Welt mit sozialem Einfluss", waren die Hits erfolgreicher und die Flops floppender als in der "unabhängigen Welt". Außerdem waren die Hits in beiden Welten höchst unterschiedliche. Das Fazit lautet: Ja, wir werden alle von anderen beeinflusst, und nein, es bleibt dennoch unvorhersehbar, was funktionieren wird und was nicht.

Wir leben in einer Welt des sozialen Zufalls, sagt Watts, und Kollegen in den Chefetagen sollten aufhören, so zu tun, als ob sie Erfolge vorhersagen oder gar "machen" könnten. Besser ist es, sich wie Zara zu verhalten: Kunden beobachten - und dann ganz schnell reagieren.

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