Verwirrungszustände vorm Einkaufsregal

Von Peter Littmann

Alles so schön bunt hier, kann mich gar nicht entscheiden! Ich glotz TV!", sang Nina Hagen vor Jahren. Was würde die Punkröhre erst sagen, landete sie heute in der Unterhaltungselektronikabteilung eines Kaufhauses? Sie würde wohl trocken schlucken und verwirrt das Weite suchen. So wie übrigens die meisten Leute ihres nicht mehr ganz taufrischen Jahrgangs.


Zugegeben, Flachbildschirme sind was Feines: Die Farbqualität ist ein Vergnügen, die Größe des Bildschirms macht mehr Spaß als die Miniglotzen der Vergangenheit.

Vergangenheit, das war, als ein Fernseher dazu da war, um fernzusehen. Der Käufer schleppte das Ding heim, stöpselte Strom- und Antennenkabel ein und los ging's mit der Bundesliga. Diese goldenen Zeiten der Idiotensicherheit sind vorbei. Die Hersteller machen gerade aus dem TV-Gerät eine atomgetriebene fliegende Untertasse mit Einbauküche und Parfümzerstäuber.

Im Ernst, die Dinger stecken jetzt voll Technologie, die sie befähigt, drahtlos mit einem hauseigenen Netzwerk zu kommunizieren oder auf das Fotoarchiv im Laptop zuzugreifen - unter Umständen auch auf das des Nachbarn. Andere Geräte inkludieren digitale Videorekorder und erlauben Zugriff auf Internet-TV. "Mediasmart" nennt das der Fachmann - nur leider ist das Gerät smarter als sein Besitzer. Und der flucht. Denn erstens ist das hauseigene Wireless-Netzwerk kompliziert genug und zweitens passen die einzelnen Gadgets in der Bude wegen Schnittstellenprobleme nicht unbedingt zusammen. Da gehen wir doch gleich nach Hause und hauen uns vor die alte Glotze.

Forscher nennen diese Gemütslage Konsumentenverwirrung und verweisen auf Studien, die sagen, dass die Zahl der Artikel im Handel in den vorigen Jahren um 140 Prozent zugenommen hat und die der Produktvarianten um 420 Prozent. Gleichzeitig nahmen die Produktlebenszyklen um 80 Prozent ab.

In Sachen Erdbeerjoghurt ist das nicht so schlimm. Schleckermäuler probieren zwei oder drei aus und definieren ihre Lieblingsmarke. Der Rest im Regal wird ignoriert. Was aber bei teureren Produkten, wo der Konsument einen Marktüberblick haben will, bevor er die Kreditkarte zückt? Wie viele Angebote kann er wahrnehmen und beurteilen?

Es gibt Untersuchungen, denen zufolge Leute, die nur sechs Sorten Schokolade zur Auswahl haben, viel zufriedener mit der Schokoladenqualität insgesamt sind, als Herrschaften, die 24 Sorten testen. Letztere haben Verwirrungszustände. Wer eine auswählt, bekommt das alt bekannte Don-Giovanni-Gefühl, auf 23 andere zu verzichten - und das nervt. Die Theorie "je größer die Auswahl, desto besser" hat also ein Loch. Dafür spricht auch der Erfolg der Lebensmitteldiscounter. Die haben nur zwischen 1 000 und 2 500 Produkte im Angebot.

Was bedeutet das nun? Bislang haben wir mit großer Geste "Consumer Empowerment" diskutiert, also die Vorstellung, dass im Medienzeitalter Verbraucher immer mächtiger werden. Nun stellen wir fest, dass so manch einer dieser Adler sich fühlt wie ein Brathähnchen. Vermutlich stimmt beides, so wie sich unsereiner die Freizeit mit Terminen zudonnert und dann Bücher wie "Simplify your life!" kauft.

Die Lösung kann nun weder darin liegen, den Handel generell rigoros vorsortieren zu lassen, noch ist es realistisch anzunehmen, dass sich Hersteller ohne Not vom Pseudoinnovationsgebot verabschieden. Es gilt auf beiden Seiten, aus pragmatischen Gründen die Strategie zu hinterfragen. Was darf es denn sein? Preisführer, gespielter Produktinnovator oder Servicekünstler? Alles auf einmal geht nicht.

Die zweite Frage ist: Wer sind meine Kunden und was wollen die? Und last but not least: Wie schaffe ich Vertrauen für meine Marke beim Verbraucher? Wer vom Angebot eher verwirrt ist, will Bodenhaftung und Kontinuität. Punk finden wir bestenfalls bei Nina Hagen verdaulich, als Geisteszustand beim Einkaufen eher schwierig.

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