Privatheit ist das Zauberwort des Cocoonings 2.0

Top Technics: Promotion

Von Peter Littmann

Dessous-Partys für die Damen sind inzwischen ein bekanntes Phänomen. Viele Männer würden gerne mal dabei sein, aber da sie das nicht dürfen, soll es inzwischen auch Herrenabende geben - mit Krawatten-Verkauf oder Hemden-Test. Das klingt alles sehr nach Fatzke-Versammlung und so manch ein Kerl würde lieber nackt gehen, als sich von seinen Kumpels bei einer „Tupperparty für Fortgeschrittene“ erwischen zu lassen.

Trotzdem ist Home Shopping ein Trend, Eingeweihte konsumieren heute höchst privat. Dass harte Zeiten einen Trend zum Kuscheligen nach sich ziehen, stellte schon Trendforscherin Faith Popcorn mit ihrer Theorie vom „Cocooning“ fest. Das war in den 90er Jahren und meinte den Rückzug in die eigenen vier Wände. Popcorn sah seinerzeit nicht nur massives Wachstum für Heimarbeitsplätze voraus, sondern folgerichtig auch einen Boom für alle Arten von Lieferdiensten, Teleshopping und Versandhandel Inzwischen steht fest, dass die Dame mit dem für Sofabewohner programmatischen Namen recht behalten hat: Dafür stehen rasante Zuwachszahlen beim Onlineshopping genauso wie die Tatsache, dass von IBMs weltweit über
300 000 Mitarbeitern rund 40 Prozent zu Hause arbeiten. Inzwischen sind wir schon einen Schritt weiter und stecken im Zeitalter von Cocooning 2.0. Da die Welt da draußen jeden Tag bedrohlicher zu werden scheint, nehmen auch die Rückzugs-Tendenzen zu: Immer mehr Leute kaufen hinter verschlossenen Türen, möglichst im geschlossenen Zirkel.
War Home Shopping für Plastikcontainer, Putzmittel und Wimperntusche einst das Vergnügen blondierter Damen aus dem unteren Mittelstand, ist es heute Entertainment für die gehobenen Stände. In Großbritannien haben Societyladies angefangen, Designer und Juweliere zu sich nach Hause einzuladen, damit die dort ihre Waren präsentieren, vorzugsweise vor geladenen Gästen. Designerin Katherine Hooker beispielsweise kommt in Haus, um ihre von Hand gefertigten Jacken und Mäntel zu zeigen. Bei einem Schwatz über Material und Form kann sich dann jeder sein eigenes Lieblingsstück zusammenstellen lassen. Samantha Sage - spezialisiert auf hochwertige Bademoden und Sarongs – wiederum bittet solvente Kundschaft zu sich nach Hause. Dort werden dann auch suboptimale Figuren in Präsentationstechnik am Strand unterwiesen, zunächst mal unter Ausschluss des Publikums. Weitere Events für gehobenes Homeshopping im Königreich finden sich unter thetravellingsouk.com, Saison ist von Oktober bis Weihnachten.
Offensichtlich wird der Trend zum Intimen auch an den Verkaufsräumen. Bis vor kurzem ging es beim Shoppen auch um Sehen und Gesehen werden: Läden waren wie Bühnen. Glaskuben, klinisches Weiß und transparente Hallen herrschten vor. Inzwischen wird weniger demonstrativ konsumiert. Tom Ford beispielsweise gestaltete seinen New Yorker Laden wie sein privates Wohnhaus. Zuhause soll der Mann die gleichen Teppiche und Sofas haben wie im Shop, wo sich im ersten Stock „private“ Räume für Maßfertigung mit „Butler“ befinden. Wer dahin will, muss vorher anrufen. Auch Modeschöpfer Dries van Noten stellt persönliche Möbelstücke und Kunstgegenstände in sein Pariser Outlet. „Die Leute wollen sich einzigartig fühlen und als Individuen geschätzt werden, also muss man für sie Räume schaffen, die ihnen das Gefühl geben, dass sie dich zu Hause besuchen. Und dann schlägt man ihnen vielleicht ein paar Kleidungsstücke vor.“ Wer dabei Begleitung sucht, lässt sich von Style Guide Susan Tabak beraten, die finanzstarke Kundschaft auch gerne zu Massaro schleppt, einem Luxus-Schuhmacher, der nur auf Termin empfängt oder zu Scarlett, die ganz privat Vintage Chanel-Kostüme feilbietet.
Nicht jeder ist solvent genug, um in des Meisters Wohnzimmer einzukaufen, für Normalsterbliche muss der Trend daher auf Normalmaß schrumpfen. Online Shopping ist ungefähr so intim wie der Potsdamerplatz in Berlin, aber inzwischen versuchen auch Massenhändler „persönlicher“ zu werden. Sites wie privateoutlet.com vermitteln die Illusion eines exklusiven Club, in dem angemeldete Mitglieder jeweils einen bis drei Tage lang eine begrenzte Menge an Produkten von einem Markenanbieter kaufen können. Privatheit funktioniert offenbar als Verkaufsargument – nur leider nicht bei Dessous-Partys. Männer müssen auch weiterhin draußen bleiben.

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