Kampf um den öffentlichen Raum

Top Technics: Promotion

Von Peter Littmann

Hach, was isses alles fürchterlich! „Werbe-Terror" überall, jammert die Kulturkritik. Der öffentliche Raum verkomme zur Plakatwand, jeder Bus sei eine fahrende Verbeugung vor der schnöden Wirtschaft, die Sportstadien eine dreidimensionale Kampagne von Allianz oder Signal-Iduna.

Der Berliner Senat hat die Werberechte für seine Bahnhöfe verkauft und nun ist Schluss mit der Kunst, die früher den Bahnsteig der U2 am Alexanderplatz zierte. Zur Fußball-WM wurde der Turm darüber eingekleidet wie ein pinker Fußball – Courtesy of Deutsche Telekom, die davor auch schon mal für 180 000 Euro monatlich das Brandenburger Tor werblich einpackte. Fehlt nur noch, dass die Leute jetzt in der Wirtschaftskrise ihre zur Straße raus gehenden Küchenfenster an Werbeträger verpachten, dann ist die Sichtverschmutzung komplett, jaulen die Feuilletons. Was in totalitären Regimes die Propaganda besorgt, treibe bei uns die freie Wirtschaft: Die hilflose Bevölkerung mit einseitigen Botschaften bombardieren!
Glaubt man den Kritikern, ist der Siegeszug der Außenwerbung, den wir als Touristen an New Yorks Times Square oder Shanghais Bund als Attraktion bewundern, zuhause ein Kultur-Müll, der die bürgerlichen Freiheiten nur noch als Wahl zwischen mehreren kommerziellen Möglichkeiten erscheinen lässt.
Lässt man mal die heiße Luft der Empörung aus der Diskussion raus, bleibt Folgendes übrig: Die Mitglieder des Fachverbandes der Außenwerber betreiben in Deutschland etwa 200 000 Großflächenplakate und 120 000 Litfaßsäulen. Erfahrungsgemäß haben die meisten Leute nichts gegen witzige Werbeaktion im öffentlichen Raum, Infoscreens in den U-Bahnhöfen werden beispielsweise gerne zum Zeitvertreib genutzt. Wenn irgendwo ein Monsterplakat einer halbnackten Kate Moss in heißen Jeans hängt oder H&M mal wieder Dessous bewirbt, gibt es vor lauter Freude sogar kleinere Blechschäden. Jungs gucken halt noch lieber Mädels als Stoßdämpfer.
Den meisten Leuten ist überdies klar, dass es viele Angebote ohne Werbung längst nicht mehr gäbe. Beispielsweise die sogenannten „Stadtmöbel“, also öffentliche Toiletten, überdachte Bushaltestellen, Fahrradständer oder beleuchtete Infokästen mit Landkarten für Ortsfremde. So manches Stadtteilfest, Filmfestival oder Theatertreffen fände nicht statt ohne Kampagnen auf Bühnenrampen, Kulissen, Fahnenstangen, Shuttle-Bussen und mobilen Pissoirs.
Schon klar, fast allen wären diese Events lieber ohne Werbung, und gäbe es gute Kunst im öffentlichen Raum, wo heute Plakate, Poster und Neon-Slogans prangen, wären viele geradezu begeistert. Doch tatsächlich zieht sich der Staat zunehmend aus der Finanzierung von öffentlichen Dienstleistungen oder Kunst zurück. Immer mehr öffentlichen Einrichtungen wird mitgeteilt, sie möge sich gefälligst Privatsponsoren suchen. Die jedoch sind nur interessiert, wenn sie die Möglichkeit zur Werbung kriegen und dringen folglich in neue Bereiche vor. Ist ja auch legitim, würden sie keinen Return on Investment für ihr Sponsoring kriegen, würde ja als erstes das Finanzamt schreien und die Einstellung in die Werbekosten aberkennen.
Einerseits herrscht Empörung, wenn verschuldete Kommunen Stadtbüchereien zumachen, Buslinien einstellen, Brunnen das Wasser abdrehen und Schlaglöcher in den Straßen lassen. Mehr Steuern oder höhere Eintrittsgelder bezahlen will jedoch auch kein Mensch. Dann lassen die Stadtväter Werbeplakate auf dem Spielplatz zu, um an das Geld zur Pflege der Sandkisten zu kommen und ernten genau das Theater, das es auf den städtischen Bühnen mangels Geld nicht mehr gibt.
Lassen wir die Kirche im Dorf: „Öffentlicher Raum“ war immer schon heiß umkämpft. Die Kathedralen der Vergangenheit sind auch nichts anderes als gigantische Aufsteller der Katholischen Kirche am Point of Sale des Seelenheils; die putzig-bunten Schilder alter Gasthäuser sind die platte Werbung vergangener Generationen. Graffiti, Dreck und Werbung gehören zu einer Stadt einfach dazu – das mag nicht toll sein, aber immer noch lebendiger, als manche Museen, in die unsere bildungsbürgerlichen Bedenkenträger die Kommunen am liebsten verwandeln würden.

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